DER PROZESSMANAGER: Es gibt über 600 Beratungen in Deutschland, die sich den Themen Prozess- und Organisationsentwicklung widmen. Warum wurde das Start-up Vision & Aim gegründet? Welche Motivation und Vision stehen dahinter?
Michael Grashiller: „Viele Unternehmen meinen, sie müssten agiler und innovativer werden und greifen meist auf agile Coaches bzw. Innovationscoaches zurück. Diese kommen dann für einen gewissen Zeitraum ins Unternehmen und versuchen, dort die Prozesse zu verändern – doch im Anschluss sind diese dann auch wieder raus. Das heißt aber: Man hat sich vorher keine großen Gedanken dazu gemacht, wie diese Veränderung angestoßen werden kann. Meistens kommt es dann zu Problemen mit den angrenzenden Abteilungen, direkt auch an den Schnittstellen alte versus neue Welt.
Um das zu vermeiden und eine Veränderung nachhaltig anzustoßen, braucht es unserem Verständnis nach einem gesamtheitlichen Ansatz. Wir waren zuvor sechs Jahre im Innovationsmanagement tätig und wissen daher aus eigener Erfahrung, dass die Methode oder der Prozess selbst lediglich ein Drittel des Ganzen ausmachen. Nach unserem Verständnis braucht es für eine gesamthafte Veränderung aber auch die Betrachtung der Veränderung an sich und die Betrachtung der Kultur. Wir verfolgen diesen Dreidrittel-Ansatz mit unserem Unternehmen.“
DER PROZESSMANAGER: Welcher Nutzen ist für die Kunden in den Branchen und Themen spürbar?
Michael Grashiller: „Von unserer Seite finden sich einige Aspekte unseres Portfolios unter dem Begriff „New Work“ wieder; dieser Begriff ist gerade in aller Munde. Um es einfach zu erklären: Es geht um die Unvermeidbarkeit der Gleichzeitigkeit. Unseren Mehrwert können wir überall dort liefern, wo eine neue Kultur auf eine alte trifft. Wir sind branchenunabhängig und setzen unseren Schwerpunkt da, wo Produkte oder Serviceleistungen sich verändern müssen – und das trifft auf fast alle Branchen zu.“
DER PROZESSMANAGER: Wer sind die Köpfe hinter dem Konzept und welche Kompetenzen bringen sie mit?
Michael Grashiller: „Wir haben das Unternehmen zu dritt gegründet und hatten zuvor seit 2014 eine Business Unit im Bereich Innovationsmanagement bzw. Innovationsprozesse. Daraus hat sich letztendlich unsere Neugründung entwickelt. Stefanie Grünberg hat das Thema Organisationsentwicklung und Wirtschaftspsychologie inne. Andreas Sailer hat viel Erfahrung mit agilen Methoden und war im Consulting tätig. Und ich habe die letzten sechs Jahre vor allem in der Innovation mit Innovationsprozessen und Innovationsmethoden verbracht.
Wir haben eine gemeinsame Baseline: Für uns ist jeder Auftrag ein Veränderungsvorhaben, auch wenn es nicht immer so klar betitelt ist. Wir alle haben Changemanagement als unsere Kernkompetenz gefunden. So haben wir uns entschieden, ein neuartiges Unternehmen zu gründen und sind unter diesem Aspekt erst jüngst – mit Beginn 2019 – in den Markt gegangen.“
DER PROZESSMANAGER: Gibt es Organisationen, die sich leichter bzw. besser verändern lassen als andere? An welchen Kriterien lässt sich das erkennen?
Michael Grashiller: „Generell meint man, dass es Organisationen gibt, die es gewohnt sind mit Veränderungen umzugehen. Häufig werden hier Software-Unternehmen oder auch Start-ups genannt, die schneller reagieren können. Aber wir sagen: Es kommt auf den Menschentyp an. Und es gibt überall Menschen, auch in Software-Unternehmen oder Start-ups, die nicht so gut mit Veränderungen umgehen können und deswegen ist die Veränderungsbereitschaft immer individuell zu betrachten.“
DER PROZESSMANAGER: Es gibt häufig Ressentiments bei den Mitarbeitern und Führungskräften, sobald Optimierungspotenzial festgestellt und Veränderungsprojekte gestartet werden sollen. Welche Vorgehensweise und welchen Methodeneinsatz bieten Sie an, um erfolgreiches Change Management zu betreiben?
Michael Grashiller: „Das ist eigentlich der Klassiker, wenn die Erwartungen der Mitarbeiter in den vergangenen Veränderungsprojekten nicht erfüllt wurden. Lösungsansätze werden nicht durch die Mitarbeiter erarbeitet, sondern meist von oben diktiert oder von Beratern vorgegeben. Die meisten Beratungen bieten mittlerweile schon an, die Lösung unter Beteiligung der Mitarbeiter zu generieren.
Wir setzen nach Möglichkeit aber schon früher an und definieren gemeinsam mit den Mitarbeitern den gesamten Veränderungsbedarf. Wir identifizieren Themen, die den größten Hebel versprechen. Das erhöht dann die Bereitschaft zur Mitwirkung. Zusammengefasst: Es braucht eine klare Vision und ein zielgerichtetes Erwartungsmanagement, damit es klappt. So lässt sich auch mit den ungleichen Erwartungen an die Veränderungsgeschwindigkeit umgehen.“
DER PROZESSMANAGER: Wie sah ihr schwierigstes Projekt aus und warum?
Michael Grashiller: „Grundsätzlich sagen wir, dass alle Projekte stemmbar sind. Die schwierigsten Projekte beginnen dann, wenn hundert Prozent in dreißig Prozent der Zeit gefordert werden.“
DER PROZESSMANAGER: Schauen wir konkret auf die Führungsstile: Wie schaut es aus, wenn Führungskräfte Verantwortung verlieren oder ihnen Führungskompetenz abgesprochen wird? Ist das schwierig?
Michael Grashiller: „Absolut! Das war unter anderem auch der Auslöser, dass wir ein eigenes Unternehmen gegründet haben. Man muss den Führungskräften letztendlich mit Verständnis begegnen und versuchen, eine gemeinsame Lösung zu finden. Das heißt, aus den Anforderungen, die die Führungskraft erfüllen muss, und gleichzeitig mit den Optimierungspotenzialen, die in dem neuen Prozess oder in der Veränderung hinzukommen, muss ein Set-up gefunden werden, das zu einer Win-win-Situation zwischen Mitarbeitern, Prozessen und Führungskräften führt.
Dabei sollten auch immer die globalen Strukturen des Unternehmens im Auge behalten werden. Die Führungskräfte sind oft in einer Zwangsschraube, die es gilt aufzulösen. Man muss den Führungskräften letztendlich auch Werkzeuge an die Hand geben, die ihnen einerseits Freiraum verschaffen und andererseits ermöglichen, trotzdem die Kontrolle zu behalten. Dieser Spagat ist nicht immer einfach.“
DER PROZESSMANAGER: Wer kommuniziert die Veränderung? Teilt das die Chefetage mit oder übermittelt der externe Berater diese Nachricht? Wie handhaben Sie das in der Realität?
Michael Grashiller: „In der Realität sieht es so aus, dass es immer eine Unternehmensvision gibt, von der sich die Veränderung ableiten lässt. Wie gut diese dann ins Unternehmen kommuniziert ist, das muss im Einzelfall ermittelt werden. Von dort gehen wir den Weg dann immer gemeinsam. Das heißt, gemeinsam mit der oberen Führungsebene und gemeinsam mit der Mannschaft. Wir leiten erst einmal davon ab, was bedeutet die Unternehmensvision für die Einzelabteilungen. Meist gibt es für jede Abteilungen einzelne Ziele, die man anstreben muss und so gehen wir das Thema für jede Abteilung einzeln an.“
DER PROZESSMANAGER: Sie begleiten das Unternehmen bzw. die verschiedenen Bereiche für einen sehr langen Zeitraum, bis die Veränderung vollzogen ist und die Prozesse implementiert sind. Auch darüber hinaus?
Michael Grashiller: „Es kommt natürlich auf die Größe und Tragweite der Veränderung an. Wenn man zum Beispiel eine neue Arbeitsweise einführt, geht es kurzfristig bzw. schneller. Aber wenn man grundsätzlich etwas im Unternehmen verändern und das auch nachhaltig dort verankern möchte, dann muss man den gesamten Zeitraum mit an Bord bleiben und vor allem auch in der Verankerungsphase. Das ist die wichtigste Phase, wo die meisten Beratungen wieder rausgehen. Dass man auch nach dem Projekt nochmals gezielt feinjustiert, falls da noch irgendwas ist, das nicht zu Hundertprozent läuft. So kann man den nachhaltigen Erfolg einstellen.“
DER PROZESSMANAGER: Welche fachlichen und persönlichen Fähigkeiten sollte ein Berater für Organisationsentwicklung besitzen, der in diesen Bereichen für Sie arbeiten will?
Michael Grashiller: „In erster Linie Ausdauer. Projekte haben zwar eine Laufdauer, aber oft ist es von Nöten nachträglich noch mal nachzufragen, was aus Projekt XY geworden ist. Nach einem gewissen Zeitraum nochmals Feedback vom Kunden einholen, ob denn diese Initiativen alle gefruchtet haben.
Dann braucht es natürlich eine gewisse Schussfestigkeit, denn da ziehen verschiedenste Stimmungen in einem Projekt auf. Da darf man sich nicht so leicht von seiner Linie abbringen lassen. Wichtig ist auch ein langer Atem, wenn es oft mal langwierig und aussichtslos erscheint. Dass man trotzdem immer das Ziel vor Augen hat und stringent weiterverfolgt. Das Wichtigste für mich ist die hohe Kommunikationsfähigkeit, denn Kommunikation ist alles. Wir wollen die Prozesse transparent gestalten. Wenn man in der Kommunikation einen Fehler macht, lässt sich dieser nicht so leicht ausbügeln. Wenn die Kommunikation im Unternehmen verschiedene Teams überholt, die noch gar nicht wissen, was tatsächlich geplant ist und das irgendwie über den Flurfunk hören – das ist ein riesengroßes Problem.
Und dann wäre noch verkäuferisches Talent gefragt, um die neuen Dinge einerseits überschaubar und verständlich darzustellen und andererseits die Leute mitzureißen. Ebenso wie eine gewisse Kompromissfähigkeit, dass man als externer Berater versucht immer wieder als neutraler Mittler aufzutreten und vielleicht auch den einen oder anderen Kompromiss zwischen zwei Teams findet. Und natürlich auch Problemlösungsorientiertheit bzw. Problemlösungskompetenz.“
DER PROZESSMANAGER: Welche Ausbildung sollten Bewerber vorweisen können? Haben auch Quereinsteiger eine Chance?
Michael Grashiller: „Der Universitätshintergrund ist für uns gar nicht so relevant. Natürlich ist es von Vorteil, wenn man bereits etwas in Richtung Psychologie gemacht hat. Viel wichtiger ist für uns Projekterfahrung, auf der alles aufbaut. Welche Projekte im Wandel hat wer schon für welche Zeit begleitet? Und welche Erfahrungen bringt man mit ins Team? Und da wir ganz neu anfangen, wäre es wichtig, dass wir weitere Kompetenzen hinzubekommen. Vor allem in Richtung Kommunikation oder Veränderungskommunikation wäre es gut, wenn wir da noch jemanden gewinnen könnten.“
DER PROZESSMANAGER: Vielen Dank, Herr Grashiller!
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