DER PROZESSMANAGER:  Corona prägt die letzten Monate stark und bringt Geschäftsmodelle aller Branchen ins Schwanken. Wie erleben Sie Unternehmen, die Sie betreuen, im neuen Kontext und mit der Herausforderung COVID-19?

René Huppertz: Die Geschäftsmodelle werden auf die Probe gestellt und es zeigt sich, welche Geschäftsmodelle stabil – bzw. in diesem Kontext wohl eher agil – sind. Gerade der Baubranche wird nachgesagt, dass sie in Sachen Digitalisierung hinterherhinkt.

Hier hat Corona für einen wahren Schub gesorgt. Plötzlich musste man sich verstärkt digital austauschen, es musste digital gearbeitet werden und das Spannende ist, es hat fast immer funktioniert. Nach meinem Empfinden ist die Kollaboration in den Projekten und Teams deutlich gestiegen. Insbesondere die junge Generation – die Generation Z – konnte verstärkt ihre Erfahrungen einbringen.

Viele Unternehmen haben basierend auf diesen Erkenntnissen ihre Geschäftsmodelle schon schrittweise angepasst.  

DER PROZESSMANAGER: Kommen wir doch mal zu Ihrer Passion: Dem Lean Management. Vor einem Jahr haben Sie sich als Berater mit Resultantz selbstständig gemacht und mit Kollegen das Lean Professional Institut gegründet. Hier beschäftigen Sie sich insbesondere mit dem Thema Lean Construction. Welchen Stellenwert wird das Lean Management in den nächsten Jahren im Kontext der digitalen Transformation für das Baugewerbe einnehmen?

René Huppertz: Lean Management verfolgt das Prinzip der kontinuierlichen Verbesserung und des Strebens nach Perfektion. Gerade Corona hat uns gezeigt, dass wir nicht an Dingen festhalten dürfen, sondern offen für Neues sein müssen, kontinuierlich nach vorne schauen und auch bereit sein sollten, Fehler zu machen. Agieren statt reagieren.

Hierauf sind Unternehmen, die sich intensiv mit der Lean Philosophie auseinandersetzen, bestens eingestellt, da Lean Offenheit und Agilität fordert. Insbesondere hinsichtlich der Digitalisierung ist diese Offenheit von Vorteil. Gerade zu Beginn der Pandemie mussten schnell neue Wege gefunden werden, damit Planungs- und Ausführungsprozesse weitergeführt werden konnten.

Neben einer Vielzahl analoger Methoden und Werkzeuge gab es in den letzten Jahren deutliche Entwicklungen bezüglich der digitalen Umsetzung des Last Planner Systems sowie der Taktplanung und -steuerung, den beiden primären Methoden im Lean Construction. Corona wirkte hier wie ein Katalysator und die Branche schrie quasi nach diesen oder ähnlichen Lösungen.

Durch das Leben der Lean Philosophie und die damit verbundene Transparenz innerhalb der Planungs- und Bauteams sowie das Verständnis dafür, dass Fehler uns helfen besser zu werden, wurden Wege des kontinuierlichen Austauschs – auf digitale Weise – gesucht und schlussendlich gefunden.

“Lean Management überzeugt am Anfang noch nicht jeden – und das ist auch gut so!”

DER PROZESSMANAGER: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Hürden bei der Umsetzung des Lean Ansatzes?

René Huppertz: Die größte Hürde ist gleichzeitig der entscheidende Punkt: Die Schaffung einer Kollaboration, die von Offenheit, Transparenz und vor allem Vertrauen geprägt ist. Zu Beginn der Implementierung von Lean Methoden ist es somit maßgebend, dass die Philosophie vermittelt und dem vorherrschenden Misstrauen entgegengewirkt wird.

Die unterschiedlichen Parteien müssen lernen, dass sie offen über Probleme und Fehler reden können und müssen. Lösungen werden gemeinschaftlich erarbeitet und jeder kann und soll etwas dazu beitragen.  

DER PROZESSMANAGER: Das ist ja interessant. Können Sie ein konkretes Szenario aus einem Projekt nennen, in dem genau diese Diskrepanz gelöst werden konnte?

René Huppertz: Es ist eigentlich in jedem Projekt so, dass es Beteiligte gibt, die von der gesamten Thematik Lean gar nichts halten. Sie sind häufig der Meinung, dass die Fronten zu verhärtet sind, um kollaborativ miteinander umzugehen oder sie verfolgen den Ansatz: Es hat die letzten 40 Jahre geklappt, also klappt es auch die nächsten 40 Jahre wie bisher.

Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt, so können insbesondere Erfahrungen und Erfolgsgeschichten helfen. Wichtig ist jedoch, dass die einzelnen Personen nicht unter Druck gesetzt werden. Ich sage immer: Tun Sie mir einen Gefallen, schauen Sie es sich vier bis sechs Wochen an, machen Sie mit, seien Sie gerne kritisch.

Nach vier Wochen sprechen wir noch einmal und dann sagen Sie mir, was Sie davon halten. In 90% aller Fälle sind die Verweigerer vom Anfang die späteren Verfechter der Philosophie.

DER PROZESSMANAGER: Abschließend noch eine Einschätzung: Zunehmende Digitalisierung betrifft ja auch das Baugewerbe. Wie kann das Lean Management insbesondere dem Mittelstand dabei helfen, konsequenter bei der Umstellung zu agieren?

René Huppertz: Wie bereits erwähnt, verfolgt die Lean Philosophie den Ansatz der kontinuierlichen Verbesserung (KVP). Damit ich meine Prozesse verbessern kann, muss ich diese kennen, analysieren und sukzessiv optimieren.

Hier spielt vor allem die Visualisierung eine große Rolle, denn jeder Beteiligte soll innerhalb kürzester Zeit über alle notwendigen Informationen verfügen. Genau dies ist Bestandteil der Lean Prinzipien, somit unterstützen diese ebenfalls bei der Digitalisierung.

Durch das Kennenlernen, Trainieren, Anwenden und Leben der Philosophie sind die Beteiligten offen für Veränderung, offen für Fehler und das Lernen aus Fehlern und somit auch offen für die notwendige und glücklicherweise voranschreitende Digitalisierung. 

DER PROZESSMANAGER: Vielen Dank Herr Huppertz für den Austausch. Bleiben Sie gesund!

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