DER PROZESSMANAGER: Hallo Herr Postai! Sie sind bereits seit mehreren Jahrzehnten als Unternehmensberater tätig und haben vor über 12 Jahren Poesis Consulting gegründet. In dieser Zeit haben Sie sicherlich schon Einblicke in zahlreiche Unternehmen und Projekte bekommen und einiges miterlebt. Was macht Ihnen an Ihrer Arbeit als Unternehmensberater am meisten Spaß? Woraus ziehen Sie Ihre Energie?

Bernd Postai: Da gibt es eine Reihe von Dingen. Spaß macht es mir zum Beispiel in einem Team von engagierten Menschen an einer Aufgabe zu arbeiten, und – bei aller Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung – Zeit für humorvolle Momente zu haben, gemeinsam zu lachen und den Schwierigkeiten ihre komischen Aspekte abzugewinnen.

Daraus ziehe ich Energie. Und aus der in der Regel stillen Freude, den Aufgaben gewachsen zu sein, gute Lösungen zu finden, unsere Kunden und die an einer Aufgabe beteiligten Menschen weiter zu bringen. Es freut mich aber auch, dass sich Poesis als Unternehmen sehr gut entwickelt und ich noch immer mit vielen jungen, talentierten und überdurchschnittlich engagierten Kollegen arbeiten darf.

DER PROZESSMANAGER: Nun haben Sie sich mit Ihrer Unternehmensberatung unter anderem auf das Projektmanagement komplexer Großprojekte spezialisiert, insbesondere auf die Einführung von ERP- und CRM-Systemen und die dazugehörige Prozessoptimierung. Wie gehen Sie solche Projekte grundsätzlich an? Gibt es Herausforderungen, die Ihnen immer wieder begegnen oder ist jedes Projekt einzigartig?

Bernd Postai: Jedes Unternehmen, jedes Projekt ist anders, aber es gibt glücklicherweise auch viele Themen, die immer wieder anzutreffen sind und für die wir über die Jahre sehr gut funktionierende Lösungen entwickelt haben. Ein gutes Beispiel dafür sind ERP-Projekte bzw. große Softwareeinführungen im Allgemeinen.

Diese finden in jedem Haus unter individuellen Rahmenbedingungen statt. Die Herausforderungen, die dieser Typus Projekt an Unternehmen stellt, sind aber durchaus vergleichbar. Viele kommen, unabhängig von ihrer Größe, an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit, die Kostenbelastung ist hoch – manchmal geradezu beängstigend. Schlüsselpersonen müssen ungemein viel Zeit investieren, alle Stärken und Schwächen eines Unternehmens treten überdeutlich zu Tage.

Zudem ist die Zusammenarbeit mit den Implementierungspartnern oft schwierig und führt nicht selten zu heftigen Konflikten – nicht zuletzt, weil die ursprünglich genannten Kosten x-fach überschritten werden.

“Es geht im Kern darum, alle End-to-End Prozesse auf eine neue Basis zu stellen”

DER PROZESSMANAGER: Welche Rolle spielen bei einem solchen Projekt die Prozesse eines Unternehmens?

Bernd Postai: Das Risiko, dass ERP-Projekte schief gehen, ist umso größer, je weniger das Unternehmen seine Prozesse kennt bzw. „im Griff“ hat. Wenn man ein ERP-Projekt von der Zielsetzung her analysiert, wird sehr schnell klar, dass es letztlich im Kern darum geht, alle wesentlichen End-to-End-Prozesse auf eine neue Basis zu stellen.

Ein solches Projekt ist, vereinfacht dargestellt, ein Erfolg, wenn nach dem Go-live die Produktion reibungslos läuft, Aus- und Einlagerungen durchgeführt und Rechnungen geschrieben werden können. Umgekehrt wird es besonders teuer und mitunter verheerend für ein Unternehmen, wenn diese Abläufe ein paar Tage oder Wochen nicht mehr funktionieren.

Prozesse stehen also im Zentrum einer solchen Softwareeinführung. Dennoch wird die Bedeutung einer sauber strukturierten Prozesslandkarte sowie sorgfältig dokumentierter Prozesse mitunter mit dem Hinweis relativiert: „Wir kennen unseren Laden!“, oder gar negiert: „Alles graue Theorie, das Systematisieren und Dokumentieren hält uns nur unnötig auf… Wir wollen loslegen und nicht Prozesse malen“. Diese Haltung ist fahrlässig und oft fatal.

DER PROZESSMANAGER: Wie sah denn Ihr bisher anspruchsvollstes Projekt diesbezüglich aus und warum war es das?

Bernd Postai: Ich bin nicht so ein Fan von Superlativen. Das „schwierigste Projekt“ gibt es nicht – jedes Projekt hat auf der einen Seite seine Herausforderungen und auf der anderen Seite Elemente, die fast anstrengungslos gut laufen bzw. leichter von der Hand gehen.

In vielen kleineren und mittleren Unternehmen (unter 1000-2000 Mitarbeiter) fehlt beispielsweise oft das Bewusstsein für die Bedeutung eines guten Projektmanagements und eine strukturierte, systematische Herangehensweise. Eine ERP-Einführung ist ähnlich komplex wie eine Herztransplantation – nur mit einer viel längeren „Projektdauer“.

Eine Herz-OP ist in ein paar Stunden erledigt, ein ERP-Projekt dauert schnell 2-3 Jahre und betrifft so gut wie jeden Mitarbeiter eines Unternehmens. Dennoch starten Firmen oft sehr blauäugig in derlei Projekte. Wir werden als externe, neutrale Projektpartner manchmal erst sehr spät an Bord geholt. Wir hatten z. B. schon Projekte, bei denen Kunden mit einem ERP-Implementierungspartner schon gut 2,5 Jahre am „werkeln“ waren, ohne dass der Go-live-Termin absehbar gewesen wäre.

Schlimmer noch: Es war noch überhaupt nicht klar, welche Prozesse schon auf der neuen technologischen Basis funktionieren und was noch fehlt. Der Karren war also bereits ordentlich „in den Graben gefahren“, und es hat uns einigen Aufwand gekostet, den Fertigstellungsgrad des Projektes valide zu eruieren.

DER PROZESSMANAGER: Wie wichtig ist es bei solchen Projekten, die Mitarbeiter miteinzubinden und aktiv bei der Veränderung zu begleiten?

Bernd Postai: Die Bedeutung der Mitarbeiter kann gar nicht überschätzt werden. Die unmittelbar in derlei Projekte eingebundenen Kollegen müssen sich auf Aufgaben einlassen, die in aller Regel zu den anspruchsvollsten gehören, denen sie sich je stellen mussten.

Die Erledigung dieser Aufgaben ist mit beträchtlichem Zeitaufwand und ungewohnten Anstrengungen verbunden. Mitarbeiter müssen in kurzer Zeit eine Menge neuer Dinge lernen – sowohl die Software selbst betreffend als auch „projekt-handwerkliche“ Themen.

Zu letzteren gehört regelmäßig auch die Arbeit mit Prozessen und dabei vor allem das Verändern von Prozessen. Wenn es gelingt, Prozesse im Rahmen eines ERP-Projektes neu zu denken, sie zu optimieren und dabei der „Software zuzuarbeiten“, dann reduziert man nicht nur Projektkosten, sondern verpasst dem Unternehmen zusätzlich auch noch effizientere Grundlagen, deren positive Auswirkungen oft jahrzehntelang ihre Wirkung entfalten.

Dazu braucht man konzeptionelle starke Leute, die andere mitnehmen können.

DER PROZESSMANAGER: Vielen Dank Herr Postai für das spannende Interview und Ihre Zeit!