DER PROZESSMANAGER: Herr Richerzhagen! Toll, dass es klappt. Immerhin wissen wir, dass Sie in Workshops und Trainings nur wenig Zeit haben. Mal eine direkte Frage: Wie gestaltet sich Ihr Alltag für gewöhnlich?
Björn Richerzhagen: Unter dem Einfluss von COVID19 hat sich unser Alltag in den letzten Monaten schon dramatisch verändert. War ich zuvor viele Tage pro Monat als Berater, Trainer und Coach bei meinen Kunden, findet derzeit Vieles nur noch online statt. Ich erkenne hieran viele gute Aspekte, aber sicher auch schwierige. Positiv ist sicher, dass viel Privates im Berateralltag wieder möglich ist. Negativ ist sicher, dass die spontane Interaktion mit unserem Gegenüber entfällt, in jedem Fall aber schwieriger geworden ist.
Wir arbeiten derzeit daran, diese Nachteile abzumildern, indem wir uns mit neuen Formaten der Wissensvermittlung beschäftigen und den Coachingansatz im Beratungsgeschäft ausbauen (hier finde ich uns schon ziemlich gut). Die inhaltliche Mitarbeit beim Kunden scheint nach wie vor Einsätze vor Ort unumgänglich zu machen, denn es kommt auf die direkte Kommunikation an, um Prozessveränderungen in Gang zu bringen. Im Ergebnis verbringe ich nun ca. 70% meiner Einsatztage in Online-Trainings- und Gesprächsrunden, ca 30% beim Kunden vor Ort. Es scheint das „new normal“ zu sein. Nach der Phase der Umgewöhnung erbringen wir mittlerweile sehr gute Trainings- und Beratungsleistungen für unsere Kunden. Diese wiederum sind immer mehr bereit unsere Leistungen auf digitalem Wege zu beziehen.
Hierbei hilft uns sicher auch unsere jahrelange partnerschaftliche Zusammenarbeit mit unseren Kunden, die auch jetzt in dieser epidemiegeprägten Zeit unsere Kompetenzen sehr schätzen!
Ich erwarte aber im direkten Beratungsgeschäft, dass der Anteil der Präsenztage bei unseren Kunden vor Ort wieder steigen wird.
DER PROZESSMANAGER: Ihre tägliche Arbeit beschäftigt sich bei MINAUTICS mit dem Optimieren von Abläufen in Unternehmen. Und das mit Hilfe von modellbasiertem Prozessmanagement. Was genau verstehen Sie darunter?
Björn Richerzhagen: Unsere Kunden wissen, dass ihre eigenen Leistungen durch Prozesse erbracht werden. Um diese Prozesse in Bezug auf die strategische Ausrichtung des Unternehmens optimal zu gestalten, braucht es zunächst einmal eine Prozesstransparenz. Mithilfe von Modellen stellen wir diese Transparenz her. Aber hier hören wir nicht auf, sondern nutzen die in Modellen dokumentierten Erkenntnisse aus der Prozessaufnahme, um diese zu analysieren, neu zu gestalten und gegeben falls auch zu automatisieren.
Die Object Management Group hat für diesen Zweck Modellierungssprachen wie BPMN, DMN und CMMN publiziert, auf die wir uns seit nunmehr über 10 Jahren spezialisieren. Diese erlauben nicht nur das Transparentmachen von Prozessen, sondern können auch durch WorkflowEngines ausgeführt und gesteuert werden.
Das intellektuelle Durchdringen von Abläufen, in unserem Fall basierend auf einem Modell, ist der erste Schritt in die Digitalisierung. Dies als Grundlage vorausgesetzt, ermöglicht uns, gemeinsam mit unseren Kunden einen Prozessmanagementkreislauf in Gang zu setzen und nachhaltig deren Wettbewerbsfähigkeit in einer zunehmend digitalisierten Welt zu steigern. Unsere Kunden erhalten dadurch einen ‚Fahrplan‘ und eine Struktur, wie sie das Thema Digitalisierung angehen können und weiterhin einen marktdifferenzierenden Kundennutzen stiften können.
DER PROZESSMANAGER: Auf welche Hindernisse stoßen Sie bei Ihren Projekten immer wieder?
Björn Richerzhagen: Nichts was unüberwindbar wäre, aber es bedarf für große Erfolge auch einen größeren gedanklichen Schritt. Viele Unternehmen sind aufgrund ihrer Arbeitsteilung sehr stark aufbauorganisatorisch geprägt. Mit anderen Worten, die Abteilungsgrenze ist häufig nicht nur eine fachliche Grenze, sondern auch eine kulturelle. Dies äußert sich beispielsweise in der sprachlichen Ausdrucksweise, in der Bewertung von Leistungen, Schnittstellen und auch ggf. von Problemen. Zu guter Letzt merken wir auch, dass die Ziel- und Anreizsysteme in den Organisationen ein Verhärten der mentalen Grenzen fördert und die Prozesse daher nicht immer optimal aufeinander abgestimmt sind.
DER PROZESSMANAGER: Jetzt haben Sie persönlich schon viel gesehen und viele Projekte umgesetzt. Was wäre Ihr persönlicher Lösungsvorschlag für diese Hindernisse?
Björn Richerzhagen: Mithilfe der genutzten Modelle schaffen wir Transparenz und gewähren Einblicke in die Details der Arbeitswelten unterschiedlicher organisatorischer Einheiten. Diese Transparenz sorgt immer wieder auch für Verständnis und unterstützt somit den Pfad zur Veränderung (im Sinne des Changemanagements). Am Ende kommt man dann doch zu einer Gesamtoptimierung mit positiven Effekten für die Gesamtorganisation und nicht nur für einzelne Abteilungen.
In unseren Projekten kommt es aber auch vor, dass wir für die Analyse einzelner, isolierter Prozesse gerufen werden. Wir investieren immer viel in die Auftragsklärung, um für unsere Kunden einen größtmöglichen Nutzen zu erreichen. Zu diesem Zweck stellen wir Fragen bei denen wir merken, dass diese nicht immer beantwortet werden können. Zum Beispiel: Bei einer online-Apotheke fragten wir mal nach dem Gestaltungsziel für das Prozessdesign. Dies leitet sich ab aus dem angestrebten Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens. „Es soll schnell, günstig und qualitativ super werden“, war die Aussage, welche wie leider nicht akzeptieren konnten (weil mathematisch nicht lösbar, Anm. der R.). Unser Ansprechpartner war nicht auskunftsfähig, weil intern eine solche Diskussion zur Positionierung noch nicht stattgefunden hatte. Im Rahmen der Auftragsklärung mussten wir mit der Geschäftsführung also zunächst diese Frage klären. Auch hierzu nutzen wir übrigens Modelle. Anschließend war es leicht, die Prozesse in allen organisatorischen und technischen Facetten daraufhin auszurichten. Es bedarf nicht nur technischer Kompetenzen, sondern in der Regel auch betriebswirtschaftlicher.
In der Zusammenarbeit mit unseren Kunden streben wir stets den Kompetenzaufbau der Mitarbeiter an. D.h. unser primäres Ziel ist es, unsere Kunden zu befähigen selbst Modelle für das Prozessmanagement zu nutzen. Dadurch entsteht eine gemeinsame Sprache, die hilft administrative, Produktions- und IT-techische Prozesse ganzheitlich weiterzuentwickeln.
DER PROZESSMANAGER: Wie machen Sie das ganz konkret?
Björn Richerzhagen: Für unsere Kunden überlegen wir uns hierzu passende Vorgehensweisen. In der Regel findet während der Zusammenarbeit irgendeine Form der Kompetenzvermittlung in Form von Schulungen, Webinaren oder eLearnings statt. Darauf aufbauend coachen wir dann häufig oder arbeiten mit in Projekten.
Im nächsten Jahr wollen wir die nötigen organisatorischen und technischen Kompetenzen im Prozessmanagement mit einem anderen Format einer größeren Menge von Interessierten teilen. Wir veranstalten erstmalig die WorkflowAnalytica, eine Konferenz für das integrierte Management von Geschäftsprozessen und IT; und zwar gerichtet an die operative Ebene: ohne Management-Schlagworte oder englischsprachige IT-Abkürzungen, sondern ganz hemdsärmelig mit direktem Praxisbezug. Wir haben erkannt, dass – auf der einen Seite – in der IT häufig der fachlich, betriebswirtschaftliche Überbau fehlt, wie er häufig von Organisatoren, Prozess- oder Qualitätsmanagern vertreten wird. Auf der anderen Seite fehlt den organisatorischen Prozessmanagement häufig ein Verständnis dafür, was die IT leisten kann. Diese beiden Kompetenzbereiche werden unserem Verständnis nach in der Rolle des Workflow-Analysten vereint.
“Workflow-Analysten verbinden mit ihrer Kompetenz unterschiedliche Fachbereiche und verbinden diese durch eine gemeinsame Sprache!”
Workflow-Analysten tragen also dazu bei, dass das Potential des modernen Prozessmanagements heben zu können. Und genau dies wollen wir thematisieren und operativ umsetzbare Konzepte für die Prozessgestalter anbieten. Vom 05.-06. Mai 2022 werden wir uns dazu in Berlin zur WorkflowAnalytica treffen. Eine Reihe von erfahrenen Experten, die selbst bereits bis zu den Ellbogen in BPM Projekten tätig waren, gewähren Einblicke durch unterschiedliche Vortrags-, Lern- und Workshop-Formate. Der Nutzen für die Teilnehmer ergibt sich aus echten Erlebnisberichten, von denen sie selbst lernen und so ein Fehler- und Problembewusstsein entwickeln können. Darüber hinaus macht eine begleitende Ausstellung es dann noch greifbarer, denn die Teilnehmer können im besten Fall Echtbeispiele sehen, begreifen und so Ideen für ihre eigenen Projekte erlangen. Im Rahmen einer Abendveranstaltung küren wir dann noch herausragende Leistungen von Workflow-Analysten, um diese öffentlich zu machen und die Stellung der Workflow-Analysten herauszustellen.
Unter workflow-analytica.eu ist übrigens mehr zu erfahren.
DER PROZESSMANAGER: Mal ein Blick in die Zukunft, natürlich nur soweit es geht: Wie bewerten Sie die aktuellen Entwicklungen am Markt seitens BPM, RPA und Process Mining?
Björn Richerzhagen: Insbesondere für Workflow-Analysten sind dies alles sehr spannende Themen. Jedes Thema für sich hat sicher großes Potential. Meine persönliche Meinung ist jedoch, dass – wenn sich der Staub ein wenig gelegt hat und die Abkürzungen aus dem Buzzword-Bingo verschwunden sind – man erkennen wird, dass es einzelne Szenarien sind, in denen sich die dahinter stehenden Technologien sinnvoll einsetzen lassen, die allumfassende Lösung für alle Prozessprobleme schlicht nicht existiert. Workflow-Analysten sollten diese Begriffe kennen, aber eben auch ein Bewertungsmodell im Kopf haben, um deren Einsatz bewerten zu können. Dazu ist es nötig, die technologiebegründenden Theorien zu kennen, aber eben nicht blind auf einzelne Softwareprodukte als Heilsbringer zu vertrauen. Auf der WorkflowAnalytica wird dies durchaus ein Thema sein.
DER PROZESSMANAGER: Vielen Dank Herr Richerzhagen für Ihre detaillierten Einblicke und Ihre Zeit! Wir freuen uns natürlich, mehr über die WorkflowAnalytica zu erfahren.
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