Andreas Tietz, Jahrgang 1963, studierte nach einer Tätigkeit als selbstständiger Außendienstmitarbeiter einer Versicherung Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik an der Universität Würzburg. Nach seiner Promotion und Assistenzzeit war er zunächst als angestellter Unternehmensberater tätig, ehe er in die Versicherungsbranche wechselte. Dort leitete er in mehreren Unternehmen die Betriebsorganisation sowie den kaufmännischen Teil der IT. Im Jahre 2009 entschied er sich zum Schritt in die Selbstständigkeit und gründete orgalean.

DER PROZESSMANAGER: Vor mehr als 10 Jahren gründeten Sie die orgalean GmbH und agieren seither als geschäftsführender Gesellschafter. Ihre Unternehmensberatung fokussiert sich dabei auf das Organisationsmanagement in Versicherungen, Verwaltungen und IT. Was hat Sie zu der Gründung des Unternehmens bewegt?

Dr. Andreas Tietz: Strukturen zu schaffen, das wirklich Wichtige in den Fokus zu nehmen und das dann zu verbessern – das sitzt mir irgendwie in den Genen. Ich kann es kaum ertragen, wenn ich sehe, wie sich das Personal hinter einer Bar auf den Füßen steht und es irgendwie nicht voran geht. Das kann mein Umfeld schon mal auf die Nerven gehen.

So war es mir immer ein Bedürfnis, meinen Verantwortungsbereich oder mein „Unternehmen im Unternehmen“ besser zu machen. Das heißt für mich, es operativ fit zu machen und es nachhaltig auf ein neues strategisches Level zu bringen. Dabei hatte ich natürlich regelmäßig mit externen Beratern zu tun, die zumeist analytisch und konzeptionell stark waren und von denen ich auch viel gelernt habe. Aber ich habe auch oft etwas vermisst: Den Blick für das Herausfordernde aber immer noch Machbare. Es ist eben ein Unterschied, ob man etwas logisch richtig und optisch ansprechend auf eine Folie schreibt oder es in den betrieblichen Alltag implementieren muss. Dazu gehört, dass eine Organisation und damit ein signifikanter Anteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingebunden und mitgenommen wird.

Diese Erfahrung war Anlass für mich, eine „etwas andere“ Beratung zu gründen. Eine, die wertschätzend mit dem Bestehenden umgeht und die Mitarbeiter und Führungskräfte mit in die Verantwortung nimmt. So können wir die entwickelten Lösungen viel stärker darauf ausrichten, welche Schritte für unsere Kunden gerade die richtigen sind. Die chinesische Weisheit „Eine Schlucht überwindet man nicht mit zwei Sprüngen“ wird ja oft zitiert, aber man muss sich dabei natürlich auch klar machen, dass man ja nur springt, wenn man sich auch zutraut, auf der anderen Seite anzukommen. Und genau das stellen wir in den Mittelpunkt unserer Vorgehensweise.

DER PROZESSMANAGER: Warum haben Sie sich für den Fokus auf Versicherungen entschieden? Was unterscheidet die Beratertätigkeit in diesen Bereichen zu der Beratertätigkeit in der Industrie oder anderen Branchen?

Dr. Andreas Tietz: Dass wir unseren Schwerpunkt in der Versicherungsbranche haben, liegt zunächst einmal in meiner Vita und der meiner Partner begründet. Wir haben alle viele Jahre in der Versicherungswelt in Projekt- und Führungsrollen gearbeitet und kennen deshalb die spezifischen Herausforderungen und Themen der Branche sehr gut und sind entsprechend vernetzt.

Spannend macht die Beratung in dieser Branche, dass sie ein immaterielles Produkt, eine für den Endkunden nur schwer greifbare und differenzierbare Dienstleistung, verkauft. Eine Abgrenzung für die Unternehmen am Markt ist nur über Preisführerschaft oder einen besonderen Service – genauer gesagt sogar nur ein Serviceversprechen – möglich. So bekommen die Prozesse eine ganz besondere Bedeutung, weil sie unterm Strich das einzige Qualitätskriterium sind.

DER PROZESSMANAGER: Zu Ihren Beratungsschwerpunkten zählen die Organisationsstrategie und -steuerung, Integration und Vernetzung. Was stellen die größten Herausforderungen bei Ihrer Tätigkeit in Unternehmen dar? Wie lösen Sie diese Herausforderungen?

Dr. Andreas Tietz: Wir haben den Anspruch, herausfordernde zukunftsorientierte Lösungen für unsere Kunden zu entwickeln. Dies liegt in unserer Überzeugung begründet, dass sich Menschen und Organisationen nur dann weiterentwickeln können, wenn sie über ihre Komfortzone herausgehen. Dabei vergessen wir wie oben bereits angesprochen nicht, dass die Lösungen nicht nur auf dem Papier funktionieren müssen, sondern auch in die bestehende Organisation und die tägliche Praxis in Anwendung gebracht werden müssen. Da hilft es uns sehr, dass wir einerseits viel Erfahrung aus unseren Beratungsprojekten haben und andererseits selbst schon einmal in der Rolle unserer Kunden waren, solche Lösungen in den Organisationen umzusetzen und zu verankern.

DER PROZESSMANAGER: Wie sah Ihr spannendstes bzw. schwierigstes Projekt aus und warum?

Dr. Andreas Tietz: Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Es gibt Projekte, die aufgrund der Themenstellung interessant sind und andere, bei denen eher die Menschen, mit denen man arbeitet, den Reiz ausmachen. Wenn beides zusammenkommt, entsteht so ein Highlight-Projekt. Wie z. B. die Entwicklung eines „Innovation Hubs“ für mehrere Versicherungsunternehmen. Ziel war es, die Aktivitäten rund um Innovation und Digitalisierung – sowohl in der Forschung & Entwicklung als auch in der technischen Umsetzung – unter einem gemeinsamen Dach zu bündeln und schlagkräftiger am Markt zu agieren. Es galt, viele Beteiligte und unterschiedliche Interessen von Unternehmen, Kooperationspartnern und Eigentümern unter einen Hut zu bringen und trotzdem eine beherrschbare Governance zu etablieren, die den Steuerungsanspruch der Gesellschafter und den Freiraum der Gesellschaft ausbalanciert. Und das bei einem „sportlichen“ Zeitplan und in einem Umfeld, in dem Kooperationsprojekte keine große Erfolgshistorie haben.

DER PROZESSMANAGER: Auf Ihrer Homepage behaupten Sie, “orgalean ist im Thema Prozessmanagement, -steuerung und -optimierung methodisch sehr gut aufgestellt”. Welche Methoden nutzen Sie? Warum haben Sie sich für diese Methoden entschieden?

Dr. Andreas Tietz: Wir nutzen eine Mischung etablierter Marktstandards und eigener Vorgehensweisen. Im Prozessmanagement setzen wir vor allem auf Lean-Methoden mit dem Fokus auf schlanke Prozesse ohne Verschwendung und erweitern bei Bedarf den Werkzeugkasten aus Tools des Six Sigma. In der Projektarbeit wählen wir individuell zum Auftrag und Kunden ein Vorgehen, welches agile Ideen mit Prinzipien des klassischen Projektmanagements orientiert an PRINCE2 verbindet. Die Aufstellung von Organisationen oder Organisationseinheiten bearbeiten wir mit unserem Vorgehensmodell “Unternehmerische Agenda”, welches ausgehend vom Auftrag der Organisation eine ganzheitliche Positionierung ermöglicht.

Das sind aber alles nur Hilfsmittel, gerade in strategischen Steuerungsprozessen brauchen tragfähige Lösungen von Bestand vor allem Erfahrung und so was wie gesunden Menschenverstand. Wenn Sie einen Prozess für die Entwicklung eines neuen Produktes designen, an dem viele Unternehmensbereiche zu beteiligen sind, macht es Sinn, diesen über so ganz althergebrachte Methoden wie einem Rollenspiel anhand mehrerer Use-Cases mal durchzuspielen. Einer im Team ist der Kunde, einer der Einkauf, einer der Entwickler usw. Und wenn alle ihre Rolle ernst nehmen, zeigt sich schnell, ob das, was man sich da überlegt hat, auch dauerhaft trägt. Und nur wenn das erreicht wird, haben wir unseren Auftrag erfüllt.

Ihnen hat das Interview gefallen? Andere Leser haben sich auch folgendes angesehen: