DER PROZESSMANAGER: Herr Hutter, seit 5 Jahren sind Sie der leitende Kopf bei der VR Bank Kaufbeuren-Ostallgäu eG, wenn es um das Geschäftsprozessmanagement geht. Zuvor haben Sie bereits fast 8 Jahre lang das BPM bei DIEHL Controls verantwortet. 

Was macht Ihnen am meisten Spaß im Alltag? Woraus ziehen Sie nach 13 Jahren Ihre Energie für das Thema?

Dr. Florian Hutter: Vor ein paar Jahren wurde ich gefragt was ich für ein Typ Mensch sei, wenn es um das Thema Prozessmanagement geht. Ich hatte die Frage nicht ganz verstanden, wie diese gemeint war und fragte wie ich das wohl zu verstehen habe. Mein Gegenüber erwiderte: „Naja, es gibt zwei Arten Menschen im Prozessmanagement. Es gibt Beamte, Verwalter und es gibt Punks …“ Ohne dass ich den Kollegen habe ausreden lassen erwiderte ich „PUNK“.

Das trifft es auch am Besten, ich nehme die Verantwortung und Aufgabe ernst, behalte mir aber immer ein vernünftiges Maß an, Unbedarftheit, Naivität, Spaß und vor allem Emotion. Ein einem Job wie diesem muss man von Berufswegen polarisieren und wachrütteln das klappt nicht als angepasster Mitarbeiter oder Führungskraft. Man muss immer wieder einmal auffallen. Getreu dem Motto egal wie „Hauptsache sie reden über mich“. Ich denke früher oder später ist man von mir gewohnt, dass es Sprüche wie „follow the fu…king process“ oder andere gibt. Das heißt aber auch ich reibe mich nicht auf, ich nehme so gut wie nichts persönlich, was mir dadurch auch einen Professionalitätsgrad gewährleistet, den ich ansonsten mit einer persönlichen Ideologie nicht verfolgen könnte. Ich mache einen Job der mir dadurch Spaß macht große Veränderungen zu gestalten. Details langweilen mich, jedoch die Perspektive an einem Big Picture zu arbeiten motiviert mich jeden Tag auf ein neues.

DER PROZESSMANAGER: Nun kommen beide erwähnten Unternehmen aus grundlegend verschiedenen Welten. Zum einen ein familiengeführtes Industrieunternehmen zum anderen eine Genossenschaftsbank.

Welche Unterschiede konnten Sie hinsichtlich Einführung, Umsetzung und Ziele der Geschäftsprozesse erkennen?

Dr. Florian Hutter: Diese Frage werde ich oft gefragt. Interessanterweise sind aber die Unterschiede kaum vorhanden. Auf einer Metaebene betrachtet, gibt es eigentlich defacto keine Unterschiede. Die Methoden funktionieren, rechts wie links, die Tools auch sowie die Schnittstellenprobleme sind die gleichen. In der Industrie besteht der Zwist zwischen Entwicklung und Produktion; in der Bank zwischen Vertrieb und Betrieb. Die Unterschiede findet man erst auf den zweiten oder dritten Blick. Bankwesen ist weniger maschinell geprägt, da hier Informationen verarbeitet werden, sprich für einen Produktionsprozess werden Stand heute tendenziell mehr qualifiziere Mitarbeiter benötigt als in der Industrie. Das heißt der Stellenwert von einem begleiteten Veränderungsprozess ist hier höher. Dafür ist der ausgeprägte Methodenfetischismus der Industrie im Finanzwesen noch nicht angekommen. Jedoch würde ich mich trauen zu behaupten, dass in wenigen Jahren auf Grund von technologischen Veränderungen wie RPA und AI auch hier der Maschineneinsatz steigt sowie wir auch hier einen ausgeprägten Methodenfetischismus mit Methoden wie LEAN, oder Six Sigma erleben werden.

DER PROZESSMANAGER: Welchen Stellenwert wird Geschäftsprozessmanagement im Bereich der Banken in den nächsten Jahren einnehmen?

Dr. Florian Hutter: Prozessmanagement wird in den nächsten Jahren meiner Meinung nach eine Schlüsselfunktion in der Frage der Daseinsberechtigungen von Banken einnehmen. Hatten wir in den vergangenen Jahren den Trend zu einem methodischen integrierten Prozessmanagement, welches sich sehr dogmatisch an den Abläufen und weniger an den IT-Systemen orientiert hat, werden wir in den nächsten Jahren eine leichte Tendenz zurück zu den Systemen beobachten. Diese Tendenz wird ausgelöst durch RPA und AI-Technologien, welche inzwischen so Massenmarktfähig sind, dass sogar KMUs sie ohne Probleme einsetzen können. Insbesondere die stetig steigenden regulatorischen Anforderungen aber auch die Erwartungshaltung der Kunden an einen modernen Finanzdienstleiter, lassen keine anderen Schritte zu. Diese Phase wird meiner Meinung nach ca. 5 Jahre anhalten, bis es zu einer Renaissance des methodischen integrierten Prozessmanagements kommen wird. Institute die sich dieser Veränderung verschließen werden oder die auch die nötige Veränderungsgeschwindigkeit nicht mitgehen können, werden meiner Meinung nach in den nächsten 5 Jahren vollends von der Bildfläche verschwinden.

DER PROZESSMANAGER: Durch neue Technologien, wie z.B. die Blockchain, wird das klassische Bankenkonzept “bedroht”.

Was bedeuten diese technologischen Entwicklungen für die klassischen Geschäftsprozesse einer Bank?

Dr. Florian Hutter: Hier habe ich eine sehr differenzierte Meinung. Technologien können per sé ein Geschäftsmodell nicht bedrohen. Die Bedrohung entsteht erst dadurch, wenn die Organisatin sich den veränderten Rahmenbedingungen verschließt. Was ich damit meine ist, es stellt sich nicht die Frage was das klassische Bankmodell bedroht, sondern wie ein neues Geschäftsmodell mit diesen Technologien aussehen kann. Ein strategisch verankertes Prozessmanagement ist hierbei eine gute Voraussetzung das Spannungsfeld zwischen Strategie und Operationalisierung mit allen Facetten zu schließen. Ein gutes Beispiel sind hier Fintechs, die vor wenigen Jahren als Bedrohung angesehen wurden, heute gelten sie als Opportunity auf spezielle Kundenanforderungen gezielt zu reagieren. Ebenso ist Blockchain-Technology kein Schreckensgespenst, sondern vor dem Hintergrund der Digital Identity Diskussion die Grundlage für Banken, den Kundenwert Vertrauen in griffige Technologie zu gießen.

DER PROZESSMANAGER: Zum Abschluss wieder weniger branchenspezifisch: Was glauben Sie, wie lange dauert es bis ein Unternehmen tatsächlich geschäftsprozessorientiert agiert und dementsprechend geführt wird?

Dr. Florian Hutter: Der Fisch fängt vom Kopf an zu stinken. Wenn Prozessmanagement gewollt und von Top-Management wie auch allen anderen Führungskräften authentisch vorgelebt wird, gelingt dieser Change in einer überschaubaren Zeit. Ich denke 1 -2 Jahre sind hier realistisch. Wird Prozessmanagement nur als Vehikel betrachtet, können sich die wenigen Überzeugten über Jahre hinweg aufreiben und verschleißen. Ebenso kann ein Mix aus beiden Extrempositionen ergeben. Pauschal lässt sich diese Frage nicht beantworten, aber um so höher die Management Attention und das Alignment zur Prozessmanagement-Methode ist desto schneller gelingt auch der kulturelle Change bis hin zu einer prozessorientierten Unternehmensführung.

Vielen Dank Herr Hutter für die Einblicke  in Ihre Arbeitswelt. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihren zukünftigen Projekten!

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