DER PROZESSMANAGER: Herr Weiß, Sie haben Informatik studiert und ihre ersten beruflichen Stationen waren Leitungsfunktionen im QS-/QM-Bereich der IT bei o2 und M-net in München. Sie haben sich immer schon für Querschnittsthemen interessiert und sind vor 6 Jahren beim Flughafen München als Senior Inhouse Consultant für Kapitalmarktthemen und Risikomanagement gestartet. Seit 2016 sind Sie Leiter für Prozessmanagement & Benchmarking.

Welche Bedeutung haben für Sie Ihre Erfahrungen aus IT und Consulting in Ihrer heutigen Rolle als Leiter im Prozessmanagement?

Jürgen Weiß: Zunächst zur IT: Womit beschäftigt sich denn IT? IT übersetzt Prozesse in Software. IT‘ler haben daher grundsätzlich einen viel offeneren Bezug dazu, in Prozessen zu denken und auch ein natürlicheres Interesse daran, Prozesse zu verstehen und Lösungen für eine Prozessunterstützung, -optimierung oder -automatisierung zu schaffen. Ich hatte beispielsweise bei o2 das Glück in einem Umfeld zu arbeiten, das die IT-Portfolio-und-Lieferprozesse für die komplexe IT-Landschaft eines Telekommunikationsanbieters in einem sehr stringenten Prozess mehrere Jahre konsequent aufgebaut hat. So konnte ich extrem viel über die entscheidenden Faktoren für den Erfolg von Prozessmanagement lernen. Diese liegen aus meiner Sicht vielmehr in der Transparenz für alle Beteiligten, der Disziplin der Steuerung über Kennzahlen und der Prozesstreue manuell oder durch IT-Unterstützung als darin, die BPMN-Diagramme möglichst ausgefeilt und detailliert „vorrätig“ zu haben. Bei unserer Arbeit am Flughafen legen wir großen Wert darauf, die Prozesse nach ihren Zielen, ihrem Ein-Ausgangsverhalten und der Prozesssteuerung über Kennzahlen zu dokumentieren und so Transparenz und Steuerbarkeit zu unterstützen. Gerade beim Thema Kennzahlensteuerung ist da die eine oder andere Hürde zu überwinden und wir treffen oft auf Widerstand. Aber unsere Unterstützung wird immer häufiger angefordert und auch das Verständnis dafür, was Prozessmanagement leisten kann, steigt. Ein Flughafen war früher ein reiner Infrastrukturbetreiber mit funktional recht unabhängigen Einheiten. Die Verzahnung ist heute eine ganz andere. Wir sprechen strategisch über Airport Operations, Commercial Activities und Immobilienentwicklung ( smart city ) in gemeinsamer Perspektive. Aus Ende-zu-Ende-Sicht beschäftigen wir uns mit Themen wie operational excellence insgesamt und der Passenger Journey statt isoliert über Abfertigung und Einkauf im Shop zu sprechen. Hier verbinden sich die operativen Abfertigungsprozesse am Flugzeug mit den Touchpoints des Passagiers und seines Gepäckstückes auf seiner gesamten Reisekette. Diese Themen kommen ohne uns und unsere Werkzeuge gar nicht mehr aus.

DER PROZESSMANAGER: Vor kurzem haben wir auch ein Interview mit Armin Fiedler (Head of Process Management, Bayer Group) geführt und sind u.a. auf das Thema Governance, d.h. die Regeln für das Prozessmanagement, im Zusammenhang mit der Konzernstrategie zu sprechen gekommen. Jetzt fällt es schwer sich den Flughafen München mit seiner Größe und den sehr unterschiedlichen Bereichen über Logistik bis hin zur Gastronomie unter einer strategischen Guideline mit entsprechenden Kernprozessen vorzustellen.

Wie schaffen Sie ein gemeinsames Verständnis zu Strategie und Prozessmanagement in dieser facettenreichen Organisation?

Jürgen Weiß: Mit Herrn Fiedler habe ich mich tatsächlich auch schon zu diesen Themen ausgetauscht. Als zentrale Prozessmanagement-Einheit haben wir auf der einen Seite natürlich methodisch eine gewisse Governance-Funktion. Inhaltlich müssen wir täglich den Spagat schaffen zwischen der Dienstleistungsorientierung gegenüber unseren internen Kunden und der Nutzung des Prozessmanagements für das Prozesscontrolling und die Prozesssteuerung im Kontext mit den Unternehmenszielen. Hierunter fällt die schwierige Frage, wie ich flächendeckend eine Kennzahlensteuerung aufbaue inklusive der Wechselwirkung im komplexen Prozesshaus, wie wir es nennen. Wir haben bereits Aufträge aus einzelnen Bereichen für das vertikale Herunterbrechen einzelner Unternehmensziele auf Prozessziele. Durch die erfolgreiche Bearbeitung dieser Aufgaben werden wir weitere Aufträge gewinnen. Über Showcases und Leuchtturmprojekte erzielen wir eine motivierende Neugier, die für die Zusammenarbeit sehr förderlich ist. Zurzeit können wir recht stolz behaupten, dass unsere mehrwertorientierte Arbeit dazu geführt hat, dass sowohl die Führungskräfte aus der Aufbauorganisation als auch die Projektleiter der strategischen Vorhaben immer aktiver auf uns zukommen und unsere Unterstützung suchen. Unsere greifbaren und attraktiven Lösungen wecken dabei vielerorts hohes Interesse.

DER PROZESSMANAGER: Sie und Ihr 8-köpfiges Team stellen sich natürlich auch den Herausforderungen der Digitalisierung. Dabei wird an den künftigen Touch Points mit den Kunden auch Prozessautomatisierung eine immer wichtigere Rolle spielen.

Was könnte dies für Kunden künftig bedeuten und welche anderen Flughäfen sind ebenso innovativ und entwickeln sich in dieser Richtung weiter?

Jürgen Weiß: Am Flughafen München wurde ein dezentral organisiertes Digitalisierungsteam geschaffen sowie ein konzernweit agierendes Programm ins Leben gerufen, das die unterschiedlichen Workstreams und  Projekte koordiniert. Fragen, mit denen sich die Mitarbeiter des Airports beschäftigen sind z.B.: Was bedeutet digitales Arbeiten in Zukunft? Welche Angebote werden für Kunden/Passagiere benötigt? Und welche digitalen Lösungen unterstützen unsere operativen Airport-Prozesse am besten? Als Prozessmanagement sind wir Teil des Kernteams des Digitalprogramms und unterstützen die Projekte bedarfsweise in Prozessthemen. Ein Vergleich zu anderen Flughäfen lässt sich nicht so einfach ziehen, da jeder anders an dieses Thema herangeht und es nicht die eine richtige Lösung gibt. Tendenziell kann man aber sagen, dass große Flughäfen Vorteile haben – allein schon deswegen weil sie über ganz andere Kapazitäten verfügen. Fluggäste profitieren von der Digitalisierung durch eine verbesserte Reisekette mit persönlich zugeschnittenen Informationen und einer optimierten Wegeführung. Die Herausforderung für den Flughafen München als Infrastrukturbetreiber ist, dass wir klassischerweise keine Endkundenschnittstelle haben. Die Kundenbeziehung besteht zwischen Passagier und Airline. Die Digitalisierung bietet daher für uns eine enorme Chance den Kunden durch digitale Kanäle und Interaktionen kennenzulernen.

Ein Beispiel hierfür ist die vom Münchner Flughafen initiierte flughafenübergreifende Passagier-App (passngr-app), die dem Fluggast alle wesentlichen Daten zu seiner Reise und zu Dienstleistungen und Angeboten am Airport integriert auf seinem mobilen Device bereitstellt. Steigender Beliebtheit erfreuen sich z.B. auch unsere sogenannten Infogates. Das sind mannshohe Infostelen mit einem interaktiven Kommunikationssystem, die in vielen Bereichen des Airports zu finden sind. Per Knopfdruck kann sich der Passagier live über Videokonferenz mit einer Kollegin oder einem Kollegen der Terminaldienste verbinden lassen und bekommt so individuelle Hilfe. Auch der Ausdruck und die Bearbeitung von Dokumenten sind an den digitalen Infoschaltern möglich.

DER PROZESSMANAGER: Ihr Team wird sich in diesem Zusammenhang mit vermutlich vielen Themen zur erfolgreichen Gestaltung der Abläufe auseinandersetzen müssen. Agile Arbeitsweisen, Data Analytics, Prozessdokumentation- und -Optimierung. Ein Prozessmanager muss sich heutzutage umfassend in Methoden und Trends auskennen.

Was zeichnet einen Prozessmanager und Organisationsentwickler am Flughafen München aus?

Jürgen Weiß: Das Anforderungsprofil an die Mitglieder meines Teams ist sehr umfangreich. Es reicht nicht, unser BPMS gut zu kennen oder in BPMN modellieren zu können. Alle Mitglieder des Teams haben zwar den CBPP ( den certified business process professional ) erworben. Aber das ist nur eine Bestätigung der technischen Skills. Ein guter Prozessmanager ist ein breit aufgestellter Prozessberater, der Moderations- und Präsentationsskills sowie Wissen über prozessorientierte Organisationentwicklung und Change Management mitbringt. Auch Durchhaltevermögen, Frusttoleranz und Beharrlichkeit sind wichtig. Daher haben wir im Team in dieser Richtung viel in die Aus- und Weiterbildung investiert und werden dies auch in der Zukunft tun.

Hinweise: Es gibt aktuell einige spannende Vakanzen im QM und PM am Flughafen München zu besetzen: https://www.munich-airport.de/berufseinsteiger-erfahrene-94612

DER PROZESSMANAGER: Führungskräfte nutzen oft ihr Netzwerk, um Trends zu erkennen und Inspirationen zu erhalten.

Wo und wie tauschen Sie sich mit ihrem beruflichen Netzwerk aus? Nutzen Sie Coaches und Speaker als Impulsgeber im Unternehmen?

Jürgen Weiß: Der Austausch ist ebenfalls sehr vielfältig. Über den Arbeitskreis der deutschen Flughäfen (ADV) zum Beispiel wird innerhalb der Peer-Group in einer Prozessmanagement-Gruppe zwei- bis dreimal pro Jahr die unterschiedlichen Ansätze und Erfolge des GPM ausgetauscht. Für mich persönlich hat sich zum Beispiel über den BPM-Club in Xing ein gutes Netzwerk entwickelt, um sich zu spezifischen Fragestellungen auszutauschen.

Ich freue mich persönlich immer sehr, wenn ich zu den BPM-Club-Treffen oder anderen Veranstaltungen ( z.B. GRC-Symposium ) als Gastredner eingeladen werde. Diese Veranstaltungen bieten immer eine gute Möglichkeit des Austausches und nicht zuletzt dienen die Fragen der Zuhörer auch zur Reflexion, ob man an das eine oder andere selbst schon gedacht hat oder nicht…

Auch die Anwendergemeinde des von uns eingesetzten BPMS ist eine gute Adresse für branchenübergreifenden Austausch.

In unserem Unternehmen selbst treffen wir uns vierteljährlich mit den Prozessverantwortlichen der Fachbereiche. Hierzu laden wir auch externe Gastredner aus dem direkten Partnerumfeld ein.

Bei meinem Team ist es mir wichtig, dass sich alle am Markt umschauen und extern vernetzen. So soll jeder Mitarbeiter zwei Stunden pro Woche  für die Recherche zu neuen Lösungen und neuen Methoden nutzen und die Ergebnisse anschließend dem Team vorstellen.

Vielen Dank Herr Weiß für die Einblicke in Ihre Arbeitswelt. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg auf Ihrem beruflichen Weg und im dynamischen Airport-Umfeld!

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