Auf der Basis von Praxiserfahrungen und umfangreichen wissenschaftlichen Studien hat sich ein Problembewusstsein für die Existenz, die Ursachen und die Folgen von organisationalen Paradoxien etabliert. Als Umsetzungsbarriere erweist sich jedoch die Diskrepanz zwischen dem wissenschaftlichen und dem praktischen Zugang zum Paradoxie-Phänomen, die sich sowohl in unterschiedlichen Begrifflichkeiten als auch Handhabungsformen niederschlägt. Eine Überbrückung kann hier mit Hilfe von Hybrid-Konzepten im Management gelingen, einer spezifischen, bislang vernachlässigten Erscheinungsform von Paradoxien.

Organisationale Paradoxien

Mit organisationalen Paradoxien werden Führungskräfte, Manager und Mitarbeiter konfrontiert. Zu diesen spannungsgeladenen Gegensätzen und Unvereinbarkeiten zählen beispielsweise die Paralyse durch Analyse (Zunehmende Erkenntnisfähigkeit verursacht abnehmende Handlungsfähigkeit), diverse Dilemmata im Innovationsmanagement, etwa dem Innovationsdilemma, organisatorischen Dilemma oder dem Open Innovation-Dilemma sowie Anti-Patterns in Gestalt des Gesetzes von Brooks (Zusätzliche Manpower führt zu einer weiteren Verzögerung von Projekten) oder einer unkontrollierten Funktionsanreicherung (Scope Creep). Paradoxien im engeren Sinne sind durch die extreme Gegensätzlichkeit und hochgradige Interdependenz zweier funktionsgleicher Elemente geprägt. Diese Charakterisierung trifft vor allem auf Dilemmata zu, etwa das Dilemma der Ablaufplanung, bei denen jede Verhaltensoption zu einem unerwünschten Ergebnis führt. Etwas weniger belastend sind die Paradoxien im weiteren Sinne, vor allem Gegensätze zwischen Absicht einerseits und faktischer Wirkung andererseits, etwa in Gestalt von Überraschungen, unbeabsichtigten Konsequenzen (z.B. Regulierung erzeugt Reaktanz) und Verschlimmbesserungen. Hierzu gehören auch wissenschaftliche Konstrukte wie das Ikarus-Paradox, die Ambidextrie, Führungsdilemmata  oder das eskalierende Commitment. Während man bei den Paradoxien im weiteren Sinne zu einer Lösung (z.B. Kompromiss, Auflösung) gelangen kann, muss man mit der Ausweglosigkeit der Paradoxien im engeren Sinne „leben lernen“.

Schwachstellen der Paradoxie-Ansätze  

Als gravierendes Defizit erweist sich die Diskrepanz zwischen den Zugängen der Praxis und der Wissenschaft zum Paradoxie-Phänomen. Während die Wissenschaft sich auf Paradoxien im engeren Sinne konzentriert, umfasst das Paradoxie-Verständnis von Praktikern auch die Paradoxien im weiteren Sinne. Zudem steht die Sichtweise, dass man sich am besten mit Paradoxien arrangieren sollte, im Widerspruch zu den gestaltungsfokussierten Ambitionen eines Managers.

Um diese Diskrepanz zwischen den Zugängen von Praxis und Wissenschaft zu überwinden, bedarf es eines integrativen Ansatzes, der sowohl Paradoxien im engeren als auch im weiteren Sinne umfasst. Hierfür eignet sich eine sich in den letzten Jahren herauskristallisierende Domäne des Umgangs mit Widersprüchen und Spannungen: die Modelle hybrider Management-Konzepte oder kurz der Hybrid-Ansatz.

Hybride Management-Konzepte

Hybride sind allgegenwärtig, etwa in Gestalt von Hybridfahrzeugen, hybriden Clouds, Advertorials (vgl. Social Media Marketing), Kombi-Verkehr, hybriden Studiengängen (z.B. Wirtschaftsinformatik), Mechatronik, faserverstärkten Kunststoffen, Hybridprodukten, sozialer Marktwirtschaft, Infotainment, Mixed Reality, Nato-Doppelstrategie, hybrider Kriegsführung, Lateralisierung des Gehirns, Crossover, Frenemies oder dualem Bildungssystem. Im Management fallen semantisch vor allem die Varianten auf, bei denen die unkonventionellen Sowohl-als-auch-Kombinationen gegensätzlicher Komponenten sich in der Notwendigkeit von Wortneuschöpfungen niedergeschlagen hat: Hierzu zählen etwa Glocalisation, Mass Customization, Coopetition, Intrapreneuring, Augmented Reality, Leagile (Lean & Agile) und Prosuming (z.B. auf dem Strommarkt). Hinzu kommen Hybrid-Klassiker, von der Matrixorganisation, der Push-Pull-Steuerung und Gegenstromkoordination über die hybriden Rechtsformen (z.B. GmbH & Co. KG, Stiftung & Co. KG, KGaA und gemeinnützige GmbH) bis zur organisierten Anarchie. Bereits aus diesen Beispielen wird erkennbar, dass eine sehr umfangreiche Schnittmenge zwischen Hybrid-Ansatz und Paradoxie-Ansatz existiert.

Anders als die Gestaltungsbemühungen im Paradoxie-Ansatz basiert die Entstehung von Hybrid-Konzepten im Hybrid-Ansatz auf insgesamt zwei Standbeinen: Beim Blending entstehen Hybrid-Konzepte durch eine bewusste Kombination, etwa durch Dialektik, also die Konfrontation einer These mit einer Antithese. Blending ist ein Instrument im Kampf gegen Suboptimalität: Da es keinen idealen Lösungsansatz („One best way“) gibt, weil nur auf zweitbeste Lösungen mit mehr oder weniger offensichtlichen Schwachstellen zurückgegriffen werden kann, werden diese konträren Lösungsansätze kombiniert. Man verzichtet darauf, in die Entwicklung eines überlegenen, aber aktuell nicht verfügbaren Lösungsansatzes zu investieren. Das Balancing beschäftigt sich mit Unverträglichkeiten zwischen gegensätzlichen Orientierungsdaten, also Zielen, Stakeholder-Interessen, Requirements und Performance-Kriterien, z.B. den Perspektiven in einer Balanced Scorecard. Mit den Gestaltungsaktivitäten, etwa der Kompromissfindung, will man Orientierungslosigkeit und Handlungsunfähigkeit vermeiden.

Eine ausführliche Darstellung finden Sie in der zfoZeit­schrift Füh­rung + Or­ga­ni­sa­ti­on: https://www.zfo.de/suche-archiv/Document/details/3439_12/

Reiss, M.: Hybride Managementkonzepte: Mit organisationalen Paradoxien konstruktiv umgehen, in: ZfO Zeitschrift Führung + Organisation, 86. Jg., 2017, Heft 3, S. 162-167

Zum Autor

Foto: Michael Reiss
Prof. Dr. Michael Reiss forscht an der Universität Stuttgart. Sein Werk “Hybridorganisation. Netzwerke und virtuelle Strukturen” können Sie >hier< auf Amazon erwerben.Darüber hinaus hat er mehr als 500 Veröffentlichungen auf den Gebieten Netzwerkorganisation, strategiegerechte Organisationsgestaltung, Change Management, Unternehmertum, Personal- und Unternehmensführung sowie Projektorganisation verfasst.