Wir erleben im Zuge der Digitalisierung in vielen Branchen disruptive Umbrüche deren Ausgang heute noch nicht absehbar sind. Die Geschwindigkeit des Wandels hat sich deutlich erhöht. Vor diesem Hintergrund gilt die Fähigkeit eines Unternehmens, sich schnell oder gar vorausschauend auf sich verändernde Umweltbedingungen einzustellen, als der zentrale Erfolgsfaktor.

Zur Befähigung und als Lösungsansatz wird gegenwärtig viel über Agilität von Unternehmen geschrieben und diskutiert [1]. Der Buchmarkt ist überschwemmt von Ratgebern und Literatur zu agilen Methoden und agilen Organisationsformen.

…, aber … der agile Königsweg ist eine Illusion.

Unbestritten in der Praxis und Forschung ist, dass Unternehmen ein zunehmendes Maß an Flexibilität aufweisen müssen. Doch der vorherrschende Glaube an den neuen agilen Königsweg ist eine Illusion. In der gegenwärtigen Diskussion werden nämlich nur die positiven Aspekte agiler Organisationsformen beschrieben, die negativen und nicht-intendierten Folgeprobleme werden demgegenüber fast vollständig ausgeblendet.

„Chronisch“ agile Organisationen tendieren nach neueren empirischen Studien zu Desintegration und damit zu einem Rückgang ihrer Leistungsfähigkeit. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Studie von Stadler und Wältermann [2], die sogenannte Jahrhundert-Champions untersucht haben, d.h. Unternehmen die es geschafft haben, über mehr als 100 Jahre hinweg wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben. Ihren Ergebnissen zufolge scheint die Innovationsfähigkeit nicht der zentrale erklärende Faktor für das lange Überleben dieser Unternehmen zu sein. Die beiden Forscher kommen zu dem interessanten Befund: „Auch die Jahrhundert-Champions in unserer Studie sind innovativ. Dies trifft jedoch auch für eine Reihe der Vergleichsunternehmen zu. Was die Spitzenunternehmen von den Vergleichsunternehmen hingegen unterscheidet, ist ihre Fähigkeit, intelligent konservativ zu agieren, d.h. bei aller Anpassung die Kultur und Identität des Unternehmens zu wahren bzw. evolutionär zu verändern“ [3].

Zu einem ähnlichen Befund kommt Rita McGrath [4] von der Universität Stanford. Langfristig erfolgreiche Unternehmen sind ihren Untersuchungsbefunden zufolge sowohl rapid adopters als auch champions in stability. Eine starke Identität scheint diesen Forschungsbefunden nach kein hemmender Faktor, sondern ein geradezu begünstigender Faktor für Langlebigkeit zu sein. Da die Identität Gewissheit über einen nicht verhandelbaren Kern der Organisation gibt, so die These, ist sie gewissermaßen die Grundlage für Flexibilität und Agilität. Vor dem Hintergrund dieser Forschungsbefunde müssen wir das Verhältnis von Stabilität und Agilität aus einer neuen Perspektive betrachten.

Unternehmen stehen nicht nur vor dem Problem der ständigen Anpassung an sich verändernde Umweltanforderungen, sondern müssen parallel hierzu auch die soziale Integration der Organisation sichern. Das Management muss daher gleichzeitig stabilitäts- und veränderungsorientiert handeln.

James Bond – Agilität und zugleich Wahrung der eigenen Identität

Geschüttelt, nicht gerührt – rasante Fahrzeuge – Uhren mit Sprengfunktion – attraktive Bond-Girls lassen unweigerlich auf den berühmtesten Geheimagenten der Filmgeschichte schließen: James Bond.

Aber obwohl vieles über die Jahrzehnte hinweg gleich geblieben ist, wird bei näherer Betrachtung deutlich, wie sich der jeweils vorherrschende Zeitgeist in den unterschiedlichen Filmen widerspiegelt [5]. Wenn man die letzten Bond-Filme (mit Daniel Craig) mit den ersten Filmen (mit Sean Connery) vergleicht, dann wird schnell deutlich, welchen gravierenden Wandel die Filmfigur vollzogen hat.

Anpassungsfähigkeit zeigt sich am Wandel der Gegner.

Anfangs entspricht das Gut/Böse-Schema noch den Fronten des Kalten Kriegs. Später geht die Bedrohung von größenwahnsinnigen Privatpersonen aus. Die Entspannungspolitik erreicht ihren Höhepunkt, als Bond in Octopussy sogar mit einem Leninorden ausgezeichnet wird.

Nach dem Zerfall des Ostblocks wird das organisierte Verbrechen zum Hauptgegner. Auch das Frauenbild hat sich über die Jahre grundlegend verändert. Insgesamt steigt die Qualifikation der Frauen in den Bond-Filmen kontinuierlich an. In dem 1979 erschienene Film ist seine Kollegin bereits promoviert und damit erstmals höher qualifiziert als der Titelheld selbst. Richtig angekommen ist die Emanzipation in den 1990ern, als Bond mit Judi Dench in der Rolle von „M“ eine weibliche Chefin bekommt.

Doch trotz dieser kontinuierlichen Anpassung an den gesellschaftlichen Zeitgeist sind die Bond-Filme in einem ebenfalls ganz außergewöhnlichen Maße konstant dieselben („identisch“) geblieben [6]. Diese Mischung von identitätsstiftender Stabilität auf der einen Seite und Anpassungsfähigkeit auf der anderen Seite scheint die Erfolgsformel der Bond-Filme zu sein.

Stabilität und Agilität sind also zwei voneinander abhängige Phänomene und stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Stabilität schränkt Wandel einerseits zwar ein, ist aber andererseits auch die Grundlage von Wandel und ermöglicht ihn erst. So wie gute Bremsen es erst ermöglichen, schnelle Autos zu bauen, so ermöglicht erst die innere Stabilität eine hohe Wandlungsfähigkeit des Unternehmens.

Denkanstöße und Empfehlungen für Führungskräfte

Führungskräfte dürfen unserer Ansicht nach gerade in Zeiten großer Veränderungen nicht nur apodiktisch verkünden, was sich alles ändern muss. Sie sollten nicht nur ständig den Wandel beschwören und das Neue im Blick halten. Sie sollten daher die anstehende Veränderung ausdrücklich auf die gewachsene Identität der Organisation beziehen und damit einen integrierenden Bogen zwischen der Vergangenheit und der Zukunft aufspannen

Diese Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kann nur gelingen, wenn sich Führungskräfte und Mitarbeiter bewusst und regelmäßig mit der Identität der eigenen Organisation auseinandersetzen. Diese ständige Arbeit an der Identität wird damit zu einer der zentralen Herausforderungen der Führungsarbeit.

Die große Herausforderung für Führungskräfte besteht also gegenwärtig darin, die sich gegenseitig bedingenden Spannungspole zwischen Agilität und Stabilität in einer dynamischen Balance zu halten müssen. Doch noch immer tun sich Führungskräfte mit dem Umgang der damit verbunden Paradoxien und Widersprüchen schwer. Dies mag einen kulturellen Hintergrund haben. Während es dem westlichen Denken außerordentlich schwer fällt, die Vorstellung der Einheit von Gegensätzen zu akzeptieren, ist diese Idee z.B. im taoistischen Denken tief verwurzelt. Nach der taoistischen Philosophie enthält jedes Phänomen sein Gegenteil, ja bringt es sogar hervor. Die taoistische Philosophie des alten Chinas lehrte, dass der Gang der Natur sich in einem ständigen Fluss befindet und auf Ganzheit beruht, die durch das dynamische Ineinanderwirken von Wandel und Stabilität bestimmt wird. Nehmen wir diese Idee ernst, müssen wir unser Denken und über Wandel und Veränderung radikal überdenken. Der Umgang mit Paradoxien und Widersprüchen muss daher als ein zentralen Bestandteil fest in die Führungskräfteentwicklung integriert werden!

Eine ausführliche Darstellung und vollständige Fassung dieses Fachbeitrages finden Sie in der zfoZeit­schrift Füh­rung + Or­ga­ni­sa­ti­on: zfo Archiv

Zu den Autoren

Dr. Hans-Joachim Gergs ist Senior Consultant und Organisationsentwickler bei der AUDI AG. Darüber hinaus ist er als Dozent an der Technischen Universität München tätig: Lecturer am Executive Education Center zu den Themen Organisationstheorie, Change Management, Change Kommunikation. Vernetzen Sie sich mit Ihm auf XING und LinkedIn.

Portrait: Arne Lakeit

Arne Lakeit hat mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Automobilindustrie und ist heute selbstständig tätig. Lehraufträge, Forschungsprojekte, Hochschulkooperationen, Menschen und Unternehmen unterstützt und begleitet – vom Gründer bis zum Top-Manager, vom Start-up bis zum Konzern. Hier bringt er seine Expertise aus seiner Zeit im Top-Mangement der AUDI AG sowie weiteren Führungspositionen und internationalen Einsätzen ein.

Sein Kompetenzportfolio umfasst: Unternehmensentwicklung, Transformation (Strategie, Prozesse, Führung und Organisation) sowie Aufbau neuer und Weiterentwicklung bestehender Produktionsstätten (Prozessgestaltung, Produktionstechnik und Automatisierung).

Portrait: Bodo Linke

Bodo Linke ist Managing Partner bei der Synchronize-Consult GmbH. Er steht für klare Strukturen und Orientierung. Als langjähriger (Interims-)Manager in unterschiedlichen Kontexten führt er Teams und Organisationen effektiv und gestaltet langfristig orientiert. Mit Zahlen, Daten, Fakten untermauert er Intuitionen und bringt sie im Führungsalltag in Einklang. Vernetzen Sie sich mit ihm auf Xing und LinkedIn.

Anmerkungen, Quellen und Einzelnachweise

[1] Unter Agilität versteht man die Fähigkeit eines Unternehmens, sich kontinuierlich an seine komplexe, turbulente und unsichere Umwelt anzupassen, indem es diese Veränderungen möglichst rechtzeitig antizipiert und sein Geschäftsmodell und seine Arbeitsprozesse entsprechend anpasst.

[2] Stadler, Ch./Wältermann, P. : (2012). Die Jahrhundert-Champions. Das Geheimnis langfristig erfolgreicher Unternehmen.  Zeitschrift für Führung und Organisation, Jg. 81, 2012, Heft 3, S. 156-160.

[3] a.a.O, S.157f.

[4] McGrath, R.: The End of competitive advantage. How to keep your strategy moving as fast as your business. Boston 2013.

[5] Greve, W.: James Bond 007. Agent des Zeitgeistes. Göttingen 2012.

[6] a.a.O., S. 57.

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