Bevor ein Flugzeug starten kann, muss fast alles gleichzeitig passieren: tanken und putzen, Koffer und Snacks einladen, Crew und Passagiere an Bord bringen. Abheben kann es nur, wenn die Wartung erledigt ist und alle Ersatzteile vorhanden sind. „Es ist unheimlich komplex, diese Prozesse so zu optimieren, dass das Flugzeug so schnell wie möglich wieder in der Luft ist“, sagt Steffen Harbarth, Geschäftsführer der Lufthansa Cityline. Doch nur am Himmel macht ein Flieger Umsatz. Deshalb arbeitet die Lufthansa-Tochter seit vier Jahren mit der Software des Unternehmens Celonis.

Der Münchener Spezialist für Geschäftsprozesse ist gerade eines der wertvollsten Start-ups Europas geworden mit einer Bewertung von 9,1 Milliarden Euro. Das hat einen Grund: „Der Markt der Unternehmensineffizienz ist fast unendlich groß“, sagt Bastian Nominacher. Er ist Mitgründer und Co-CEO bei Celonis.

Das liegt nicht an einem schlechten Management der Kunden, zu denen Dax-Konzerne wie Deutsche Telekom, Merck und Eon zählen. Vielmehr fehlten ihnen bisher die technischen Mittel, Prozesse im Detail zu analysieren.

Doch Celonis hat seit seiner Gründung vor zehn Jahren wie kein anderes Unternehmen die industrielle Anwendung von Process Mining vorangetrieben – die Technologie dahinter ist eine Art Röntgengerät für Geschäftsprozesse. Sie visualisiert sämtliche Daten für die Kunden und zeigt die Ursachen von Problemen auf.


Aus Hunderten Quellen kann Celonis Daten sichtbar machen, mehr als 400 verschiedene Geschäftsprozesse abbilden, und das in 20 Industrien – vom Einkauf über den Verkauf bis zur Flugabfertigung. Plötzlich sehen die Unternehmen, wie die Abläufe zusammenhängen, wie lang ein Bestellprozess dauert, welche Kunden immer zu spät zahlen, wo eine fehlende Freigabe den Betrieb aufhält. Die Daten waren schon lange da, aber lagen tief versteckt in den technischen Systemen.

Oft setzen Kunden die Software von Celonis in ihren kritischsten Prozessen ein, sagt CEO Nominacher. Und der Geschäftsführer von Lufthansa Cityline, Harbarth, bestätigt: „Das Ziel ist, unsere Kernprozesse bei der Fluggesellschaft kontinuierlich zu verbessern und vor allem für Kundenzufriedenheit zu sorgen.“ Mit anderen Worten: „Verspätungen oder gar Flugausfälle zu vermeiden.“

Celonis‘ Software beschreibt Harbarth als Wegweiser für effiziente Abläufe. Ein hypothetisches Beispiel: Das Catering dauert bei vier von 330 Umläufen am Tag länger – was haben all diese Flüge gemeinsam? Ist das Muster gefunden, kann man gezielt daran arbeiten.

Künftig will er auf Basis des Systems auch den besten Zeitpunkt bestimmen, um ein Flugzeug zu warten. Ist die Wartung morgen optimal geplant? Oder passt es doch heute besser? Möglich wird das durch die Celonis-Software, die den Prozess weiterentwickelt – von Visualisierung über Analyse bis zu Handlungsvorschlägen und einer automatisierten Umsetzung.

„Gottvater des Process Mining“: Die Theorie entwickelte ein Professor

Bastian Nominacher und seine Mitgründer Alexander Rinke und Martin Klenk befähigen die Industrie zur digitalen Selbsthilfe. Die Theorie dahinter hat allerdings der niederländische Informatiker Wil van der Aalst erforscht, der auch „Gottvater des Process Mining“ genannt wird. Der Professor für Prozess- und Datenwissenschaft forscht und lehrt an der RWTH Aachen. Selbst die Gründer der rund 35 Process-Mining-Firmen, die nicht bei ihm studiert oder promoviert haben, nennen ihn als Berater. Bei Celonis sitzt er im Beratungsgremium. Finanziell beteiligt ist er nirgends.

Die Celonis-Gründer sind 2019 mit dem Deutschen Zukunftspreis ausgezeichnet worden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beglückwünschte sie. Quelle: dpa
Die Celonis-Gründer sind 2019 mit dem Deutschen Zukunftspreis ausgezeichnet worden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beglückwünschte sie. Quelle: dpaCelonis-Gründer mit dem BundespräsidentenDie Celonis-Gründer sind 2019 mit dem Deutschen Zukunftspreis ausgezeichnet worden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beglückwünschte sie.(Foto: dpa)

Van der Aalst hatte zunächst an Technologien zum Management von Arbeitsabläufen gearbeitet, bis er Ende der 90er-Jahre feststellte: „Das hat überhaupt keinen Sinn, wenn ich nicht verstehe, was die Leute in den Organisationen genau machen.“ So ließ er immer mehr Doktoranden daran arbeiten.

2005 waren die Algorithmen weit genug entwickelt, um sie auf größere Prozesse anzuwenden. „Bei meinen Vorträgen blieb den Leuten der Mund offen stehen“, sagt van der Aalst. Im Grunde nutze Celonis heute dieselben Algorithmen, aber sie funktionierten immer besser. Und er schreibt dem Unternehmen weitere Leistungen zu, die zentral waren, um den Markt weiter zu entwickeln.

„Celonis zeigt Firmen auf, dass sie mit Process Mining Millionen sparen können“, sagt van der Aalst. Dafür steht vor allem Bastian Nominacher. „Die besten Unternehmen kriegen ihre Außenstände in acht Tagen rein, durchschnittlich sind es fast 30 Tage“, sagt der Geschäftsführer. Und bei der Liefertreue? „Nur um die 40 Prozent aller Waren werden pünktlich geliefert, bei den Best in Class sind es fast 90 Prozent“, sagt Nominacher.

Ein Hebel digitaler Transformation – wenn die Mitarbeiter mitmachen

Zudem habe Celonis von Anfang an nicht nur Prozessanalysten, sondern eine größere Zielgruppe in den Unternehmen adressiert, sagt der Professor. Im Gespräch mit Steffen Harbarth von der Lufthansa Cityline wird deutlich: Je mehr Mitarbeiter die Software verstehen und nutzen können, desto besser.

Schließlich zeige Process Mining einem Unternehmen auf, welche Prozesse nicht gut laufen. Transparent zu sein wird dann unangenehm. „Es ist eine Herausforderung, dabei ein positives Momentum zu schaffen“, sagt Harbarth. „Die Mitarbeiter in diesen Prozessen müssen die Software als Mehrwert sehen, nicht als Kontrollinstrument.“ Dazu muss sie auch jeder verstehen.

Als Celonis im ersten Jahr bei der Lufthansa-Tochter eingeführt wurde, habe die Cityline bei acht Millionen Passagieren insgesamt 300.000 Verspätungsminuten eingespart. Solche Fortschritte erzeuge nicht die Software. Das Unternehmen muss die neu gewonnene Transparenz auch aktiv und kontinuierlich nutzen, sagt Harbarth: „Es ist extrem wichtig, dass sich die Mitarbeiter mit dieser digitalen Transformation identifizieren.“

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