Das Thema “Automatisierung” wird häufig im gleichen Atemzug angesprochen wie “maschinelle Fertigung”, “Roboter” und “Künstliche Intelligenz”. Der Grund liegt auf der Hand – zu automatisieren bedeutet, Verantwortlichkeiten an Maschinen zu übertragen. Das ist in großen Industrien wie der Produktion schon längst akzeptiert.

Im Process Mining ist das häufig auch nicht anders. Die Kernbranchen sind meist die produzierende Industrie, die Energiebranche, eCommerce oder Telekommunikation. In diesen stark digitalisierten Feldern mit hohem Datenvolumen bietet sich viel Potential für automatisierte Prozessanalyse.

Was aber, wenn man einen Bereich betrachtet, der per Definition auf dem Menschen als Kernfaktor baut?

Jonny Ehrich hat dazu mit Experte Markus Starke gesprochen. 

Als Berater ist er seit 2010 hauptsächlich im Prozess- und Organisationsdesign tätig und ist einer der ersten Experten, die mit Process Mining auch den Personalprozessen auf den Grund gehen.

Sein Ansatz: “Im Personalmanagement gibt es auf jeden Fall Prozesse, wo sich Process Mining sehr anbietet.” Doch lässt sich laut Herrn Starke der Analyseansatz deshalb nicht zwangsweise mit den Anwendungsfällen aus Produktion und Energie gleichsetzen. “Die Realisierung eines Process-Mining-Projekts im HR hat häufig seine eigenen Hürden.”

Welche Anwendungsfelder bietet das Personalwesen für Process Mining?

Starke spricht aus Erfahrung: “Das wichtigste sind meistens die Bearbeitungs- und Durchlaufzeiten.”

Der HR-Bereich umfasst eine Vielzahl verschiedenster Prozesse. Im Recruiting über die Vertragslegung bis hin zum Stammdaten-Management sind externe wie interne Stakeholder eingebunden. Dokumente werden erstellt, Unterschriften erfasst, Daten aktualisiert und Korrespondenzen dokumentiert. Doch der Kernfaktor “Zeit” steht stets im Fokus. Welcher Prozessschritt wie lange dauert, wo es zu Engpässen kommt und wo unerwartet hohe Wartezeiten entstehen – all das zeigen Process Mining Tools.

Genauso kann die datenbasierte Prozessanalyse auch unerwartete Doppelarbeiten identifizieren. Starke beschreibt ein klassisches Beispiel: “Die Dokumentenerstellung ist ein wesentlicher Aufwandstreiber im HR-Bereich. Dort kann es besonders schnell zu Prozessschleifen kommen. Dann wird ein Arbeitsvertrag mehrere Male erstellt, oder eine Stellenausschreibung gleichzeitig von zwei Personen bearbeitet. Es war im HR bislang schwierig, eine wirkliche Transparenz zu diesen Prozessen zu erhalten.”

Der Grund liegt auf der Hand: “Durch individuelle Arbeitsweisen und ein großes Spektrum an verschiedenen Vorgaben tritt eine große Anzahl an Prozessvariationen ein. Mit klassischen Analysemethoden kommt man hier an viele Daten und Informationen gar nicht heran.” Process Mining ermöglicht es Prozessmanagern und Beratern wie Markus Starke, diese fehlende Transparenz zu schaffen.

Dies hilft nicht nur in der proaktiven Analyse der Performance von Prozessen, sondern auch im Reporting. Dashboards und Datenvisualisierungen sind das A und O, um Unternehmen einen sowohl detaillierten als auch nachhaltigen Einblick in die Personalprozesse zu geben.

Markus Starke

Markus Starke ist Management Consultant und Process Mining Experte 

Welchen Mehrwert bringt Process Mining in HR?

HR-Abteilungen unterliegen häufig einem sehr hohen Druck, gleichzeitig kosteneffizient zu arbeiten und den Kunden – die gleichzeitig zukünftige, aktuelle oder auch ehemalige Kollegen sind – schnell Ergebnisse mit hoher Qualität zu liefern. “Die unnötige Verschwendung im Bereich Arbeitsaufwand zu reduzieren, sehe ich als Kernthema”, so Starke. “Die Minimierung dieses Ressourcenverbrauchs kann zum Beispiel durch Automatisierung oder Machine Learning erreicht werden. Auch das sind relevante Themen im Personalwesen. Grundvoraussetzung dafür ist aber ein schlankes und effizientes Prozessdesign.”

Hier greift der datengetriebene Ansatz von Process Mining. Die tiefgehende Analyse von Prozessabläufen identifiziert konkret, wo sich solche Optimierungsmaßnahmen anbieten würden – und wo eben auch nicht.

Dieser Anspruch an volle Prozesstransparenz betrifft alle Arten von Prozessabweichungen. Gründe für solche Abweichungen gibt es viele, von Fehlern im System bis zu unzureichender Kommunikation zwischen Verantwortlichen. All das lässt sich im Tagesgeschäft nur schwer strukturell erfassen. Process Mining bietet die nötigen Mittel, solche Problemfälle aufzuspüren. Die Konsequenz: besser laufende Systeme und datenbasierte Kommunikation.

Zuletzt ist auch die Frage nach Standards und Vorgaben im Personalwesen von Bedeutung. So sollen Referenzmodelle im Normalfall als Kontrollmechanismus für korrekte Prozessabläufe fungieren. “Solche Referenzmodelle gibt es durchaus, meist haben die Unternehmen selber auch Soll-Modelle definiert”, erklärt Starke. “Das Problem ist, ein Modell zu erarbeiten, das auch mit den tatsächlich erfassten Daten verwendbar ist.” Das Conformance Checking von Ist- und Soll-Prozessen ist von großer Relevanz, manuell in solch variantenreichen Prozesslandschaften jedoch nur schwer umsetzbar. Process Mining bietet hier die Möglichkeit, nicht nur neue, akkurate Referenzmodelle zu generieren, sondern diese auch automatisch mit dem gelebten Prozess zu vergleichen.

Wo stößt die Technologie an seine Grenzen?

Process Mining ist kein vollkommenes Allheilmittel. HR bringt einige einzigartige Herausforderungen für den Einsatz der automatisierten Prozessanalyse mit sich. Starke benennt eines der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale: “Im Produktionsbereich gibt es Maschinen, die haben die Daten – oder eben nicht. Im HR-Bereich ist das häufig nicht ganz so eindeutig. Ich habe bisher nur selten Prozesse gesehen, die komplett stringent in ein bis zwei Systemen abgearbeitet wurden.”

Die Systemlandschaft im Personalmanagement und Recruiting ist “zerklüftet”, so Starke. Unternehmen haben oftmals ein eigenes Master-Datensystem, ein Service-Management-Tool und eine Software für die Dokumentenverwaltung. Dazu kommen häufig weitere spezialisierte Systeme, z. B. für Recruiting. Noch komplexer wird die Systemlandschaft bei internationalen Unternehmen. Diese extreme Heterogenität der Software verhindert zwar nicht den Einsatz von Process-Mining-Lösungen, fordert jedoch sehr flexible, offene Schnittstellen zum Datenaustausch.

“Zudem gibt es immer auch relevante Aktivitäten, die nicht in den Systemen hinterlegt sind, sondern in Papierform, via E-Mail oder mündlich stattfinden”, sagt Markus Starke. Der Faktor Mensch kann eben doch nicht völlig mit Maschinen und IT-Systemen gleichgesetzt werden.

Die Lösung: Process Mining und Menschenkenntnis

Nachhaltige Prozessexzellenz verlangt eine effektive Kombination aus der Datenanalyse mit Process-Mining-Tools und der Expertise von Experten wie Berater Markus Starke. Die digitale Transformation von Unternehmen öffnet für gewinnbringende Process-Mining-Projekte immer mehr Türen. Doch wird auch in Zukunft der Umgang mit Menschen – von Bewerbern bis zu Angestellten – nur selten komplett auf der digitalen Bühne ablaufen. So vervollständigen sich Process Mining und klassisches Prozessmanagement im HR gegenseitig. Hier trifft Menschen- auf Datenkenntnis.

Zum Autor

Jonny Ehrich ist Marketing & Content Manager bei Lana Labs GmbH. Seine Expertise bringt er in regelmäßigen Abständen im Unternehmensblog des Process Mining Startups ein.Jonny Ehrich Lana Labs

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