Die künstliche Intelligenz (KI) gehört zu den missverstandenen Technologien der vergangene Jahre. Dafür verantwortlich ist nicht zuletzt der Chatbot-Hype, ausgelöst durch die von Facebook unter enormen Presse-Echo lancierte Bot-Plattform. Bald, so die Vorstellung, sollten Konsumenten bevorzugt über die intelligenten Bots ihrer Lieblingsmarken, Shoppingplattformen und Dienstleister kommunizieren. Menschliches Support-Personal sowie native Apps sollten durch Facebooks Konversationsautomaten überflüssig gemacht werden. So zumindest der Plan. Wie so oft kam alles anders. Nach wie vor spielen Chatbots zwar durchaus eine Rolle im Kommunikationsangebot von Unternehmen, aber die Euphorie hat angesichts der überblickbaren kognitiven Fähigkeiten der virtuellen Gesprächspartner nachgelassen, und auch seine Messenger-Bot-Pläne hat Facebook deutlich zurückbuchstabiert. Als Folge biss sich die Debatte in den vergangenen Jahren zu oft am Thema Conversational AI fest, während andere Aspekte der KI in der Diskussion untergingen. Denn der Einsatz von KI in Unternehmen reicht viel weiter zurück, als es die Medienberichterstattung vermuten lässt.
Robotic Process Automation (RPA) – die erste Schwelle zur Intelligenz
Schon in den frühen 2000ern erleichterten softwarebasierte Lösungen Unternehmensprozesse aller Art. Fachleute präzisieren hier gerne und verwenden den Begriff “Robotic Process Automation” oder “robotergesteuerte Prozessautomation”, kurz RPA. Dank der neuen Technologie war es zum ersten Mal möglich, digitale Abläufe, Aufgaben und Prozesse aller Art in grossem Stil und mit überblickbarem Implementierungsaufwand zu automatisieren. Der Grad der Intelligenz, mit der solche Softwareroboter ihre Aufgaben erledigten, war zu Beginn jedoch begrenzt. So spricht man im Zusammenhang mit RPAs vor allem auch von einer regelbasierten Automatisierung. Denn die Art, wie RPA-Bots ihre Aufgaben lernen, unterscheidet sich im Grunde nur unwesentlich von der Programmierung eines Spielzeugroboters: Der Mensch definiert anhand einiger simpler Regeln, welche Aktionen der Software-Bot konkret ausführen soll und die willfährigen digitalen Helfer führen die festgelegten Aufgaben anhand dieser definierten Regeln ohne Murren und müde zu werden sowie in Rekordzeit aus.
Auf diese Weise werden bereits seit Jahren Krankenakten im Gesundheitswesen analysiert und vorselektiert, Schadensfälle von Versicherungen sortiert, Kreditentscheide von Banken anhand harter Faktoren aufgegleist oder Lieferketten im E-Commerce oder im produzierenden Industriesektor gesteuert. Während bei den meisten RPA-Lösungen vor allem Faktoren wie Effizienz, höhere Durchlaufgeschwindigkeiten bei Prozessen sowie natürlich auch die Kostenersparnis im Zentrum stehen, profitieren Branchen mit komplexen Compliance-Anforderungen von der höheren Präzision, die Bots bei repetitiven Aufgaben an den Tag legen. So setzte auch die Pharmaindustrie sehr früh auf eine weitgehend softwaregestützte Fabrikation, ohne die die strengen Sicherheitsvorschriften bei der Medikamentenproduktion heutzutage kaum mehr zu bewältigen sind. Nicht nur im professionellen Umfeld kommt die robotergesteuerte Prozessautomatisierung zum Einsatz. Ob dies nun die Gestaltung von Fitness- und Ernährungsplänen, die Planung des Tagesablaufs, das Haushaltsbudget oder die Einkaufsplanung betrifft: Längst nutzen auch Konsumentinnen und Konsumenten eine regelrechte App-Armee, um alle nur erdenklichen Aspekte des Privatlebens mit automatisierten Prozessen durchzutakten.
Hyperautomation zündet die nächste Stufe
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Entwicklung der RPA-Technologie nicht im Status quo verharren mag. Und so überrascht es nicht, dass Experten für die Softwareroboter der nächsten Generation bereits neue Ansätze aus der Schublade gezogen haben, mit der die nächste Stufe der intelligenten Prozessautomation gezündet werden soll. Unter dem Sammelbegriff “Hyperautomation” versteht man, vereinfacht gesagt, die Kombination aus “traditionellen”, streng regelbasierten Anwendungen zur robotergesteuerten Prozessautomation mit den Errungenschaften der KI, wie dem maschinellen Lernen (Machine Learning) oder dem Natural Language Processing (NLP), also der Fähigkeit, die menschliche Sprache in Wort und Schrift semantisch korrekt zu verarbeiten.
Wenn Bots Bots programmieren
Dank Hyperautomation sollen vermehrt auch komplexe und kognitiv anspruchsvolle Geschäftsprozesse automatisiert werden können, also Prozesse, die nicht starren Entscheidungsregeln folgen oder bei denen situative, “intelligente” Strategien nötig werden, um auf Problemstellungen angemessen zu reagieren und Aufgaben zu lösen. Systeme im Bereich der Hyperautomation beschränken sich jedoch nicht nur darauf, vom Menschen identifizierte Abläufe automatisch abzuwickeln. Hyperautomation Bots werden auch dazu eingesetzt, um Geschäftsprozesse automatisiert zu analysieren, mithilfe von KI zu optimieren und darauf basierend eigene Software-Bots zu programmieren, die ihrerseits wiederum fest definierte Automatisierungsaufgaben übernehmen. Der einflussreiche Technology-Research-Riese Gartner hat 2020 Hyperautomation zu den 10 einflussreichsten Technologietrends gekürt.
Angesichts der ansteigenden Intelligenz der fleissigen Softwarehelfer wächst aber auch die Zahl der Warner. Neuroinformatiker fürchten sich vor dem sogenannten Blackbox-Effekt. Dieser beschreibt das Dilemma, das entsteht, wenn Maschinen immer weniger nach festen Regeln, sondern in zunehmendem Masse situativ entscheiden. Manche Algorithmen sind mittlerweile nämlich so vielschichtig, dass es immer schwieriger wird, die Aktionen von Bots der neuesten Generation voraus- und in die künstlichen Gehirne dieser wortwörtlich “unberechenbaren” Algorithmen hineinzusehen.
Eine Revolution durch die Hintertür
Die Möglichkeiten, die Unternehmen angesichts dieser geballten KI-Power zur Verfügung stehen, sind nahezu grenzenlos. So lässt sich einerseits dank raffinierter Hyperautomation-Strategien die Palette an automatisierbaren, monotonen und zeitraubenden Prozessen noch einmal deutlich erweitern. Andererseits bieten sich dank der KI auch vielfältige Möglichkeiten, die Beziehungen und Interaktionen zwischen Marken, Unternehmen und Konsumenten effizient zu automatisieren und zu personalisieren. In der Praxis dürfte sich diese neue Qualität der Softwareintelligenz beim Kunden aber nicht mit dem plumpen Pomp der Facebook-Chatautomaten bemerkbar machen. Die KI-Revolution läuft möglicherweise subtiler ab: Beispielsweise mit immer clevereren Upselling-Vorschlägen auf dem Dashboard des Kunden, einer automatisch erstellten, aber täuschend menschlich anmutenden Kunden-E-Mail oder auf die Bedürfnisse einzelner Kunden massgeschneiderte digitale Produkte, um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Die künstliche Intelligenz, sie bahnt sich ihren Weg in die Welt von Unternehmen, Organisationen und Konsumenten nicht mit einem großen Knall, sondern sie kommt durch die Hintertür: langsam, schleichend und mit Babyschritten – und sie ist gekommen, um zu bleiben.
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