75 Teilnehmer, darunter Entwicklungsvorstände, Technische Geschäftsführer und Top-Entscheider aus der Forschung & Entwicklung (F&E) fanden am 24. Mai 2019 auf der F&E Leitkonferenz der 3DSE in der BMW Welt in München zusammen. Anhand von sieben Impulsvorträgen und anschließenden Diskussionen verschafften sie sich einen Überblick, wie die eigene Produktentwicklung zur F&E 4.0 werden kann – und sich damit bestens für die Zukunft aufstellt.

Was macht zukünftig den Unterschied in der F&E aus?

Mit dieser Fragestellung eröffneten Dr. Armin Schulz und Dr. Stefan Wenzel, Geschäftsführer der 3DSE, die F&E Leitkonferenz 2019 – und lieferten erste Antworten. Sie zeigten vier Stoßrichtungen auf, durch die sich eine F&E 4.0 herausbilden kann:

  • Konsequente Automation: Die Automation unterstützt nicht nur das Engineering, sondern auch die Prozesse der Produktentwicklung. Entscheidungen werden auch auf der Basis von Daten und Künstlicher Intelligenz getroffen. Der Start kann z.B. die Analyse der Automatisierungspotenziale sein.
  • „Beidhändige Organisation“: Die Organisationsstruktur erlaubt zum einen den Fokus auf die Pflege und Weiterentwicklung der Produkte des Kerngeschäfts, um die Wirtschaftskraft des Unternehmens erhalten. Gleichzeitig schafft sie Raum und Flexibilität für die Entwicklung von Innovationen. Von Anfang an sollten beide Bereiche gleichberechtigt agieren.
  • Plattform-Produkte für Ökosysteme: Nicht allein ausgefeilte Technik und Hardware stehen im Fokus der Produktentwicklung, sondern insbesondere das Kundenerlebnis. Das Produkt wird Teil eines kundenorientierten Ökosystems. Erster Meilenstein ist die Klärung, wie die Customer Journey verläuft.
  • Grenzenlose Kooperation: Die Produktentwicklung wird dezentral, um an Hot Spots der technologischen Entwicklung schnellen Zugang zu Partnern zu ermöglichen. Zunächst ist zu ermitteln, in welchen Bereichen Unterstützung sinnvoll ist.
Foto: F&E Leitkonferenz 2019

Der wissenschaftliche Blick aufs Thema

Prof. Dr. Isabell M. Welpe, Inhaberin des Lehrstuhls für Strategie und Organisation an der TU München und Mit-Gründerin des TUM Blockchain Research Clusters, referierte anschaulich über die „Bedingungen für Kreativität und Innovation in der F&E, um die digitale Disruption erfolgreich zu meistern“. Die aktuelle Komplexität der Anforderungen macht Unternehmensführung aus ihrer Sicht zu einer „Wildwasserfahrt“, die langfristige Planungen nicht mehr zulässt. Dennoch machen die aktuellen Rahmenbedingungen Weiterentwicklung und Innovation zwingend notwendig. Der Innovation von Geschäftsmodellen kommt zentrale Bedeutung zu. Es gilt zu ermitteln, welche Angebote Kunden noch vermissen und Lösungen dafür zu entwickeln. Kreativität und Innovationen entstehen jedoch nicht durch neue Technologien, sondern durch neue Arten zusammenzuarbeiten und Arbeit zu organisieren.

Verschiedene Perspektiven, ein Ziel: F&E 4.0

Die Hero MotoCorp Ltd., der weltweit größte Motorradhersteller, stand nach dem Ende des Joint Venture mit Honda im Jahr 2011 vor der Aufgabe, eine eigene Produktentwicklung aufzubauen, die international wettbewerbsfähig ist. CTO Dr. Markus Braunsperger zeigte in seinem Vortrag „Lessons from India – Vorbereitung einer indischen F&E auf internationale Wettbewerbsfähigkeit“, wie sein Unternehmen in kürzester Zeit einen neuen F&E Standort in Jaipur eröffnete. Dabei bestand die größte Herausforderung darin, die Grundlagen zu schaffen: durch geeignetes Personal und das Etablieren von Strukturen und Prozessen. Der Weg zu einer F&E 4.0 ist zwar noch weit, doch auf dieser Basis konnten der Aufbau des heutigen Partnernetzwerks und der Ausbau des Produktportfolios beginnen.

Dr. Andreas Goppelt, CTO des deutschen Medizintechnikunternehmens und Weltmarktführers im Bereich Prothesen Ottobock SE & Co KGaA, zeigte in seinem Vortrag „Offensiv bei Disruption und Digitalisierung – wie sich die F&E eines 100-jährigen Familienunternehmens für die Zukunft rüstet“, dass bahnbrechende Innovationen schon immer zum Unternehmen gehörten. Das profitable Kerngeschäft bildet heute die Basis für Disruption, die in der Übertragung von Kernkompetenzen in nichtmedizinische Felder sowie in der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle liegt. Für die F&E 4.0 setzt Ottobock auf eine zweigleisige Struktur, die einerseits die effiziente Weiterentwicklung im Bereich der Kernprodukte und gleichzeitig disruptive Entwicklungen im Bereich der digitalen Geschäftsmodelle ermöglicht.

Die EOS GmbH ist Pionier des industriellen 3D-Drucks und ergänzt die klassische Fertigung seiner Kunden durch Additives Manufacturing (AM), z.B. einzelner Ersatzteile oder Komponenten. Dr. Tobias Abeln, Mitglied der Geschäftsführung und CTO, erläuterte unter dem Titel „Fortschritt durch Additive Fertigung – Produktentwicklung & Innovation im Spannungsfeld von Stabilität und Flexibilität“, wie AM für Unternehmen zum Enabler der Digitalisierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette wird und was AM-orientiertes Design bedeutet. Er zeigte außerdem, wie sich die eigene F&E-Organisation u.a. durch ein vorbereitendes Innovation Management neu aufstellt.

Die Palfinger AG, weltweit führender Hersteller von hydraulischen Hebeund Ladevorrichtungen für Einsätze an Land und auf See, stellt die globale Organisation für den Wechsel von der Mechatronik auf die Digitalisierung um. Andreas Hille, Executive Vice President Land für den Bereich Product Management und Engineering, stellte in seinem Vortrag „Produktlinien Management – Aufbau- und digitale Transformation einer globalen Produktentwicklungsorganisation“ vor, wie das Unternehmen die F&E für die perfekte Balance zwischen notwendiger Standardisierung und erforderlicher Differenzierung der Produkte aufstellt. Er zeigte außerdem, wie sich der Weg der Palfinger AG zum Solution Provider gestaltet und wie komplexe, digital unterstützte Lösungen aussehen werden, die den Kunden die Umsetzung ihrer Projekte deutlich erleichtern.

Airbus Defence and Space entwickelt und liefert ein breites Spektrum an Systemen für die militärische Luftfahrt, militärische und zivile Raumfahrtsysteme sowie Systeme für Kommunikation und Sicherheit. In ihrem Vortrag „Shaping the Future – Our journey towards an integrated, innovative, global leader in Defence and Space“ berichtete Dr. Sabine Klauke, Head of Engineering, über die aktuellen Chancen des Marktes wie New Space oder OneWeb sowie die Weiterentwicklung des Unternehmensbereichs vom Plattform-Anbieter zum integrierten Anbieter von Systemlösungen. Als Grundlage soll z.B. ein Modul-System die Mehrfachnutzung von Produkten und Services erlauben. Außerdem werden neue Arbeitsweisen genutzt: Neben agilen Methoden sind dies z.B. Digital Design, Manufacturing and Services (DDMS).

„Die Vorträge und Diskussionen auf der F&E Leitkonferenz 2019 zeigten die großen Fortschritte der Produktentwicklungsabteilungen auf dem Weg zur F&E 4.0“, sagt Dr. Armin Schulz, Geschäftsführer der 3DSE. „Zwar stehen wir bei der Automation noch ganz am Anfang, aber zur sogenannten Beidhändigkeit der Organisation gab es schon viele Umsetzungen zu sehen.“ „Bemerkenswert war auch zu sehen, wie groß die Fortschritte beim Einbinden digitaler Technologien in Produkte sind“, ergänzt Dr. Stefan Wenzel, Geschäftsführer der 3DSE. „Allerdings müssen Unternehmen auch anfangen diese Technologien auf ihre Zusammenarbeitsformen anzuwenden, um dort wirkliche Quantensprünge zu ermöglichen.“ Beide betonen, dass die anpassungsfähigsten Unternehmen die größten Chancen haben, zu überleben.

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