DER PROZESSMANAGER: Herr Jungenkrüger! Nun starten Sie ja im Bereich Prozessmanagement nicht erst durch, sondern bringen Erfahrungen aus einigen Projekten mit in dieses Gespräch. Je nach Auftragslage gilt es ja auch seine eigenen Prozesse zu managen, deshalb einmal folgende Frage: Welche 3 Hilfsmittel nutzen Sie täglich?

Roland Jungenkrüger: Abgesehen von den Möglichkeiten, die gängige Office-Pakete (E-Mail, Terminverwaltung und Chat) im Sinne der Zusammenarbeit mit anderen mit sich bringen, nutzen wir ein webbasiertes Projekttool, das intuitiv zu bedienen ist und mit dem wir Projekte und Aufgaben sowohl individuell als auch im Team organisieren. Komplexe und unübersichtliche Vorhaben strukturieren wir entweder mittels Mindmapping oder im Team über digitale Whiteboards vor. Bei Kundenprojekten richten wir uns nach bestehenden Werkzeugen und Arbeitsweisen, bringen diese jedoch, soweit möglich, mit unserer übergreifenden Herangehensweise in Einklang. Dank integrativer Ansätze gelingt das in der Regel sehr gut.

Bei der Auswahl unseres Projekttools spielte Integrationsfähigkeit ohnehin eine ebenso große Rolle wie für unsere anderen Werkzeuge, z. B. im Bereich Auftrags- und Zahlungsabwicklung, Buchhaltung, Marketing und Sales, etc. So vermeiden wir Doppelaufwände und Fehler bei der Stammdatenpflege und sind effizient bei der Auftragsabwicklung.

Grundsätzlich orientiert sich unsere Toolauswahl an den Unternehmensabläufen. Ziel ist, dass Tools diese optimal unterstützen und die Anpassung an veränderte Anforderungen flexibel ermöglichen – nicht umgekehrt, wie es leider oft der Fall ist.

DER PROZESSMANAGER: Vielen Dank für den Einblick. Bleiben wir doch direkt dabei: Warum ist gutes Prozessmanagement vor dem Kontext der zunehmenden Automatisierung unverzichtbar?

Roland Jungenkrüger: Das lässt sich mit einem einfachen Grundprinzip zusammenfassen: Optimierung kommt vor Automatisierung!

Grundsätzlich ist dringend zu empfehlen, bestehende Prozesse zu hinterfragen und zu optimieren, bevor Investitionen und Aufwände erbracht werden, die ineffiziente oder gar risikobehaftete Prozesse unterstützen. Leider werden Tools noch viel zu häufig als Lösung für problematische Abläufe verstanden. Bei der Implementation zeigen sich dann die Lücken zwischen aktuellen bzw. angestrebten Prozessen und den Möglichkeiten, die die Werkzeuge mit sich bringen. Die Enttäuschung bei den Stakeholdern (Kunden, Management, Investoren, Belegschaft) ist groß, wenn interne Erwartungen und externe Anforderungen nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Gutes Stakeholder-Management ist ohnehin der beste Garant für gutes Gelingen, denn niemand möchte in der laufenden Umsetzung z. B. mit Vorbehalten und Widerständen aus der Belegschaft konfrontiert werden. Jegliche Form von Prozessanpassungen bringt Veränderungen für jeden einzelnen mit sich, und diese können mit Ängsten verbunden sein, mit denen man sich vor und während der Anpassung auseinandersetzen muss.

Je mehr Aufmerksamkeit der Vorbereitung von Prozessautomatisierung geschenkt wird, umso schlanker, geräuschärmer und kosteneffizienter lässt sich diese umsetzen. Unternehmen, die Digitalisierung und Automatisierung vorantreiben wollen, sollten diese Vorarbeit daher dringend leisten.

DER PROZESSMANAGER: Das klingt alles absolut nachvollziehbar und einleuchtend. Wie gehen Sie Projekte für gewöhnlich an? Gibt es ein spezielles Modell, mit dem Sie arbeiten?

Roland Jungenkrüger: Digitalisierungsprojekte sind in erster Linie organisatorische Projekte, weil sie, wie bereits erwähnt, immer Veränderungen in den Prozessen und der Organisation mit sich bringen, die in der Regel sehr deutlich zu spüren sind. Logischerweise bringen sie aber auch weitreichende technologische Anpassungen mit sich: bestehende Systeme werden ausgetauscht, angepasst oder mit Schnittstellen versehen, um z. B. externe Dienstleistungen (Logistik, Zulieferer, Support, etc.) in die Automatisierung einzubeziehen. Das wiederum bringt neue Anforderungen an Qualitätskriterien oder zur Erfüllung gesetzlicher Vorgaben mit sich und erfordert Vertragsanpassungen in alle Richtungen – AGB, SLA und DSGVO seien hier nur als plakative Stichpunkte genannt.

Um also die Komplexität aus unternehmerischen, organisatorischen, technischen und rechtlichen Anforderungen im Griff zu behalten, sollten Vorhaben stets abgegrenzt werden und nicht zu ambitioniert sein. Eine saubere und messbare Zieldefinition, die sich an den Unternehmenszielen orientiert und die Fähigkeit und Verfügbarkeit von Mitarbeitern und externen Projektbeteiligten realistisch berücksichtigt, ist daher der erste Schritt, bevor es nach der Risikobetrachtung anhand eines Anforderungskataloges an die Bewertung, Auswahl und Umsetzung organisatorischer und technischer Lösungen geht.

Das klingt jetzt sehr „oldschool“ nach Wasserfall und Phasenmodell, aber tatsächlich findet all das nach dem anfänglichen Projektsetup in iterativen Schritten statt. Genau genommen ist auch die Festlegung der Projektorganisation und der Projektprozesse Bestandteil der anfänglichen Zielsetzung. Zwischen „Wasserfall“ und „Agil“ ist alles drin und legitim, solange es zur Organisation passt. Wichtig ist nur, sich bewusst zu machen, welcher Ansatz der vielversprechendste ist und diesen dann zu verfolgen und kontinuierlich zu verbessern.

Das sind eine Menge Räder, die man jedoch gottseidank nicht mehr alle neu erfinden muss. ITIL® ist ein bewährter Ansatz, der in der Version 4 weit über die isolierte Betrachtung und Definition von IT-Prozessen hinausgeht und diese im Kontext von Unternehmenszielen und externen Einflussfaktoren betrachtet. Das Framework bietet somit eine sehr gute Ausgangsbasis für die Definition, Umsetzung und fortlaufende Verbesserung automatisierter Prozesse.

Der systemische Charakter von ITIL4 bringt in der Umsetzung wiederum Herausforderungen mit sich. Wo setzt man bei der Anforderungsdefinition an? Welche IT-Prozesse sollten mit höherer Priorität optimiert werden und wie können Abhängigkeiten berücksichtigt werden, ohne von vornherein alle angrenzenden Prozesse und Faktoren betrachten und bewerten zu müssen? Wie lassen sich die Vorteile kontinuierlicher Verbesserung und Agilität frühzeitig nutzen, um einerseits schnelle Erfolge erzielen zu können und andererseits das Gesamtbild nicht aus den Augen zu verlieren und auf Veränderungen im laufenden Projekt reagieren zu können?

Wir begegnen dieser Komplexität mit einem eigens entwickelten datenbankgestützten und browserbasierten ITIL4-Prozessmodell, mit dem eine sehr schnelle und anforderungsbezogene Einarbeitung in die Thematik und Umsetzung in die Praxis möglich ist. So können Sie mit wenigen Klicks Rollen, Aufgaben, Arbeitsschritte, Anforderungen und Ergebnisse der Prozesse identifizieren, bei denen Sie den größten Handlungsbedarf sehen. Oder Sie suchen z. B. nach einer bestimmten Rolle, um ihre Verantwortlichkeit und Aufgaben in verschiedensten Prozessen übergreifend nachvollziehen zu können. Dadurch erkennen Sie sehr schnell Abhängigkeiten und Zusammenhänge, für die Sie anderenfalls die gesamte ITIL-Literatur durchforsten müssten.

DER PROZESSMANAGER: Welche konkreten Vorteile bietet ITIL®4 für Unternehmen?

Roland Jungenkrüger: ITIL ist ein Framework für IT-Service-Management-Prozesse, das in der Version 4 die Rahmenbedingungen sehr viel stärker in den Fokus rückt als zuvor. Während ITILv3 viele Prozesse als Vorlage mitlieferte, die es an eigene – IT-spezifische – Bedürfnisse anzupassen galt, zielt die aktuelle Version darauf ab, IT-Prozesse an Unternehmensziele und -strategien auszurichten und nahtlos zu integrieren. Auch externe Faktoren wie Umwelt, Politik, Märkte und Regionen fließen in diese Betrachtung ein, so dass der gebotene Rahmen die Chance zur umfassenden ganzheitlichen Betrachtung bietet, die effizientere und anforderungsgerechte IT-Prozesse zur Folge hat – und das im gewünschten Automatisierungsgrad.

Anders gesagt – ITIL4 lenkt die Aufmerksamkeit und Fragestellung auf unternehmerische Ziele und externe Anforderungen inkl. Datenschutz, Governance und Compliance, bevor es einen Fahrplan zur Optimierung und Automatisierung von Prozessen aufzeigt. Es verfolgt dabei nicht nur den systemischen, sondern auch den nachhaltigen Ansatz, indem es kontinuierliche Verbesserung und iterative Vorgehensweisen in den Vordergrund rückt.

Es wird – ebenso wie Digitalisierung und Automatisierung an sich – jenen Unternehmen den größten Vorteil verschaffen, die sich den Anforderungen eines solchen Gesamtbildes stellen und zu mehr Agilität und Eigenverantwortung bereit sind.

DER PROZESSMANAGER: Vielen Dank für den Einblick. Nun einmal ein Ausblick: Vielerorts hört man, dass die deutsche Industrie in Sachen Digitalisierung, Automatisierung und KI hinterherhinkt. Welche Chancen und Gefahren sehen Sie für deutsche Unternehmen, wenn man diesen Anschluss nicht mehr findet?

Roland Jungenkrüger: Darin Chancen zu erkennen, fällt mir schwer. Als Startup-Gründer weiß ich, wie schwierig es ist, private wie staatliche Geldgeber in Deutschland von frischen Ideen zu überzeugen, die sich erst durchsetzen müssen. Wir werden m. E. überholt und abgehängt, weil wir nach wie vor in zu hohem Maße auf rückwärtsgewandte Sicherheiten, langfristig angelegte Pläne und „Erfolgsnachweise“ setzen. Hier wünsche ich mir mehr Mut, Kreativität und vor allem Agilität. In der Projektarbeit hat man längst erkannt, dass lang und breit angelegte Lasten- und Pflichtenhefte sich nicht erfüllen – stattdessen wird Kommunikation, Zusammenarbeit und Veränderungsmanagement in den Vordergrund gerückt. Es gibt so viele Menschen mit Ideen und dem Willen, diese kraftvoll zu verfolgen. Wenn wir diesen mehr vertrauen würden als Rentabilitätsplänen, die auf drei Jahre zurechtgerechnet werden, und aufhören, materielle Sicherheiten zu verlangen, die insbesondere junge Menschen nicht bieten können, dann gäbe es auch hier bald ein Silicon Valley.

Die „Höhle der Löwen“ gehört nicht nur ins Fernsehen – sie sollte in jeder Bank zu finden sein.

DER PROZESSMANAGER: Vielen Dank, Herr Jungenkrüger!

Zur Person

Roland Jungenkrüger, Geschäftsführer der Value4p GmbH, ist Senior Projekt- und Prozessexperte und zertifiziert in verschiedenen Projektmethoden wie Scrum, IPMA Level B sowie als Legal Project Practicioner (IILPM).

Als Projektmanager arbeitet er weltweit an komplexen Projekten mit Remote-Teams in den Bereichen Recht, organisatorische Veränderungen sowie IT-Migration und Vertragsgestaltung. Darüber hinaus ist er derzeit der einzige akkreditierte Assessor für das P3M3 Reifegradmodell für Portfolio-, Programm- und Projektmanagement von Axelos in Deutschland und Österreich und einer von nur wenigen in den Vereinigten Staaten.

viflow Model ITIL®4

Die Value4p GmbH ist Partner der ViCon GmbH – Hersteller der Prozessmodellierungs-Software viflow. Roland Jungenkrüger hat mit viflow ein Prozessmodell für ein ganzheitliches IT-Service-Management entwickelt. Dieses viflow Model ITIL® 4 enthält nicht nur anpassbare und auf ITIL® 4 ausgerichtete Prozesse für eine schnelle Umsetzung, sondern erläutert die ITIL® 4-Philosophie auf einfache und verständliche Weise. Nähere Informationen dazu finden Sie hier.

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