Zusammenfassung

Als erklärungsfähige Kategorie sollte Resilienz auf der Individualebene belassen werden und zugleich als wesentlicher Indikator in ein Gesamtkonzept von Vertrauen integriert werden. Die Forschungsaktivitäten sollten sich daher wieder verstärkt dem handelnden Subjekt und seinen relevanten Ressourcen zuwenden. Resilienz als Metapher zu verwenden ist irreführend. Dass die Organisation resilienzförderliche Voraussetzungen schafft, heißt nicht, dass die Organisation selbst resilient ist.

Resilienz = Widerstandsfähigkeit?

Der Begriff der Resilienz hat seinen Ursprung in der Entwicklungspsychologie und meint psychische Robustheit [1] verbunden mit der menschlichen Kompetenz, schwierige Umstände unbeschadet zu bewältigen. [2] Resilienz wird im sozialen Kontext erworben und ermöglicht einen salutogene Entwicklung, selbst unter pathogenen Bedingungen. [3] Auf den Punkt gebracht ist Resilienz das Konstrukt der „seelischen Widerstandsfähigkeit“ [4].

Das Problem der Vermenschlichung von Organisationen

Resilienz als Metapher auf einer anderen, abstrakteren Systemebene zu nutzen, ist der Versuch, Organisationen zu „anthropomorphisieren“ [5], ihren menschliche Eigenschaften zuzuschreiben (z.B. „das anständige Unternehmen“ [6]), die sie unseres Erachtens nicht haben und auch nicht haben können. Eine derartige Zuschreibung wäre paradox, da eine mit dem Phänomen der Psyche verbundene analytische Kategorie, wenn sie auf das Abstraktum der Organisation bezogen wird, nicht als Erklärungsgrundlage für organisationale Effekte dienen kann. Es gibt auch wissenschaftlich keinen Nachweis, dass Erlebens- und Verhaltensphänomene, die mit Resilienz verbunden sind,, auf einer höheren, abstrakteren Systemebene Phänomene hervorbringen, die uns zu einem neueren oder veränderten Organisationsverständnis führen könnten. Es scheint vielmehr, so zu sein, dass im Anschluss an Talcott Parsons´ AGIL-Schema [7] Analogieschlüsse gewagt werden, die auf der Annahme der Ähnlichkeit psychischer und sozialer Systeme beruhen.

Anstatt durch Begrifflichkeiten wie resiliente Organisationen den Anschein zu erwecken, es entstünden Organisationen ohne Paradoxien, sollten wir erkennen, dass Organisationen nie frei von toxischen Strukturen und Dilemmata sind. [8] Unseres Erachtens gibt es keine resilienten Organisationen, sondern nur resilienzförderliche Strukturen in Organisationen. Diese schaffen die Möglichkeiten und Voraussetzungen, dass Menschen Resilienz entwickeln können. Nun ist Resilienz, verstanden als Bewältigungsfähigkeit, keine Kompetenz des passiven Ertragens von Veränderungen, Störungen und Zumutungen in und durch Organisationen. Resiliente Personen sehen sich auch als Akteure und Gestalter. Sie übernehmen Verantwortung für sich und gegebenenfalls auch für andere und verfügen damit über ein individuell unterschiedlich ausgeprägtes Maß an Selbstwirksamkeitserwartung [9] sowie Emotionssteuerung, Impulskontrolle, Empathie, realistischen Optimismus, Kausalanalyse und Zielorientierung. [10]

Aufgrund dieses analytischen Zusammenhangs mit dem Individuum besitzt Resilienz unseres Erachtens auch nur in diesem Kontext eine hinreichende Erklärungsfähigkeit.

Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Resilienz und Vertrauen?

Indem das Thema Resilienz vom Individuum auf die Organisation übertragen wird, werden die Ansatzpunkte zur organisationalen Intervention verschleiert. Resilienz ist vielmehr – mit all seinen affektiven und kognitiven Komponenten – als wichtiger individueller Faktor in ein übergeordnetes Vertrauenskonzept zu integrieren.

Vertrauen wird allgemein definiert als „a psychological state comprising the intention to accept vulnerability based upon positive expectations oft he intentions or behavior of another“ [11]. Es ist eine der wesentlichen Ressourcen, die es den Mitgliedern einer Organisation erleichtert, auf Fehler, Irritationen und Störungen angemessen zu reagieren und ihnen die Adaption an veränderte interne und externe Faktoren ermöglicht. [12]

Resilienz sollte als ein wichtiger individueller Faktor in ein übergeordnetes Vertrauenskonzept integriert werden.

Vertrauen ist im Gegensatz zur individualpsychologischen, endogenorientierten Kategorie Resilien ein sozialpsychologisches Konstrukt, das seine Sinnhaftigkeit nur dadurch erfährt, dass es relational ist, also unterschiedliche Akteure miteinander verbindet. Aus diesem Grund lässt sich dieses Konstrukt von der Individual- und Teamebene auf die organisationale Ebene transportieren, sodass wir neben individuellen vertrauensvoll agierenden Akteuren auch kollektive und organisationale korporative Akteure finden.[13] 

Operationalisierung auf Individual- und Organisationsebene

In einem aktuellen Pilotprojekt wurden ein Dienstleistungsunternehmen mit ca. 2.500 Mitarbeitern sowohl Merkmale spezifischer Kooperationsbeziehungen innerhalb einer Abteilung als auch zwischen verschiedenen Abteilungen mit dem Vertrauensinventar des Instituts für Management und Organisation erhoben. Im Rahmen des Konzepts des Vertrauenspotentials werden die Ausprägungen verschiedener Einflussfaktoren gemessen. Hier können Unternehmen auf der individuellen, der Team- und Organisationsebene den Grundstock für eine vertrauensvolle Interaktion der Individuen legen.

Als Indikatoren von Vertrauenspotenzial (Ergebnisse des Projektes CCM2) [14] gelten:

  • Zuverlässigkeit
  • Vertrauen in die Kompetenz anderer
  • Aufrichtigkeit im Umgang miteinander
  • respektvoller Umgang miteinander
  • gegenseitige Sympathie
  • Gefühl von Gemeinsamkeit und Gemeinschaft
  • Akzeptanz und Wertschätzung untereinander
  • Wohlwollen gegenüber den Anliegen anderer

Die verwendeten Skalen für das Vertrauenspotenzial sind hoch konsistent.

Das individualpsychologische Konstrukt Resilienz wird über eine Anzahl von Verhaltensindikatoren, die die endogene Verarbeitung und Bewältigung kritischer Umweltbedingungen als reales menschliches Verhalten beschreiben, erhoben.  

Nach der Diagnose des Vertrauenspotenzials kann ein Interventionsprogramm entwickelt werden, das die individuelle Resilienz fördert.

Nach der Diagnose des Vertrauenspotenzials der untersuchten Organisation gilt es nun, ein Interventionsprogramm zu entwickeln. Dieses setzt ressourcenorientiert auf verschiedenen Systemebenen an: einerseits auf der Individualebene mit dem Ziel der Stabilisierung der Resilienz, andererseits auf der organisationalen Ebene mit dem Ziel der Stabilisierung von Vertrauen.

Fazit

Als erklärungsfähige Kategorie sollte Resilienz auf der Individualebene belassen werden. Kurz: Es gibt keine resiliente Organisation und keine organisationale Resilienz. Insoweit ist der attributive Zusammenhang, sollte er als Metapher genutzt werden, irreführend. Stattdessen sollten sich die Organisationen und die Forschung wieder verstärkt dem handelnden Subjekt und seinen relevanten Ressourcen zuwenden. Wenn die Interaktion der Menschen, ihre Kultur, ihre Art und Weise des Umgangs miteinander die Ansatzpunkte sind, dann muss das Thema Vertrauen im Mittelpunkt der Bemühungen stehen. Daher sollte Resilienz in ein Gesamtkonzept von Vertrauen integriert werden, denn über die Dimension Vertrauen können wesentliche Phänomene der Unternehmenskultur erfasst werden. Dass die Organisation resilienzförderliche Voraussetzung schafft, heißt nicht, dass die Organisation selbst resilient ist.

Eine ausführliche Darstellung und vollständige Fassung dieses Fachbeitrages finden Sie in der zfoZeit­schrift Füh­rung + Or­ga­ni­sa­ti­on: zfo Archiv

Zu den Autoren

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Prof. Dr. Rolf Taubert ist Gründer des Instituts für Management und Organisation GmbH in Bochum. Schwerpunkt: Organisationsentwicklung. Vernetzen Sie sich mit Ihm auf XING und LinkedIn, oder kontaktieren Sie ihn per Mail: rolf.taubert@imo-​bochum.de

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Dipl.-Kfm. Harri Fechtner ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Management und Organisation in Bochum. Schwerpunkte: Management – und Unternehmensdiagnostik, strategisches HR-Management, People-/ Talent-Management, Vertrauensmanagement und -kultur, Leadership und Führungsinstrumente. Vernetzen Sie sich mit Ihm auf XING und LinkedIn.

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Vera Koltermann ist Lead Consultant bei DEBA GmbH. Schwerpunkte: Organisationsberatung, psychologische Diagnostik, Community Management & Public Relations. Vernetzen Sie sich mit Ihr auf XING und LinkedIn

Anmerkungen, Quellen, Einzelnachweise

[1] Blender, D./Lötsel,F.: Protektive Faktoren der psychisch gesunden Entwicklung junger Menschen: Ein Beitrag zur Kontroverse um saluto- und pathogenetische Ansätze. In: Margraf, J./Siegrist, J./Neumer, S.-P- (Hrsg): Gesundheits- oder Krankheitstheorie? Saluto-versus pathogenetische Ansätze im Gesundheitswesen, Berlin 1998, S. 117 – 145; Egeland, B./Carlson, E./Sroufe,L.A.: Resilience as process.In: Development and Psychopathology, 5.Jg., 1993, H.4, S.517-528; Luthar, S.S./Zigler,E.:Vulnerability and competence: A review of research on resilience in childhood. In: American Journal of Orthopsychiatry, 61. Jg., 1991, H.1, S.6 – 22.

[2] Rubard, E.: Methodological Issues in Assessing Resilience in Maltreated Children. In: Child Abuse & Neglect, 22. Jg., 1998, H.7, S.669 – 680; Luthar, S.S.: Sociodemographic disadvantages and psychosocial adjustment: Perspectives from developmental psychopathology. In: Luthar, S.S. et al. (Hrsg.): Developmental psychopathology: Perspectives on adjustment, risk, and disorder, New York 1997, S. 459 – 485; Luthar, S.S. (Hrsg.): Resilience and vulnerability: Adaptation in the context of childhood adversities. New York 2003; Masten, A.S./Powell, J.L.: A Resilience Framework for Research, Policy and Practice. In: Luthar, S.S. (Hrsg.): Resilience and vulnerability. Adaption in the context of childhood adversities, New York 2003, S. 1 -25.

[3] Blender,D./Lösel,F.:a.a.O.

[4] Fröhlich-Fildhoff,K./Rönnau-Böse,M.: Resilienz, 4.akt. Aufl., München 2015.

[5] Zaheer, A./McEvily, B./Perrone,V.: Does Trust Matter? Exploring the Effects of Interorganisational and Interpersonal Trust on Performance. In: Organization Science, 9.Jg., 1998, H.2, S.141-159.

[6] Sprenger, R.K.: Das anständige Unternehmen: Was richtige Rührung ausmacht-und was sie weglässt, München 2015.

[7] Parsons, T.: The social system, Glenoce 1951.

[8] Kühl, S.:Sisyphos im Management: Die vergebliche Suche nach der optimalen Organisationsstruktur, 2., akt. Aufl., Frankfurt a.M. 2005.

[9] Scharnhorst, J.: Resilienzforschung in Theorie und Praxis: Individuelle Widerstandskraft – eine notwendige Kernkompetenz. In: Personalführung, 2010, H.1, S.34-41; Philipsen, G./Ziemer, F.: Resilienzentwicklung in Organisationen: Wie geht resiliente Führung? Vortrag auf der „Zukunft Personal“ am 17.09.2013; Straus,F./Höfer,R.: Handlungsbefähigung als Schlüsselkompetenz für ein gelingendes Leben. Institut für Praxisforschung und Projektberatung 2015, als PDF auf http://dev.lagjsa-bayern.de/), http://tinyurl.com/y8wupn4d (letzter Zugriff: 3.1.2017).

[10] Reivich, K./Shatté, A.: The resilience facotr. 7 Keys to Finding Your Inner Strength and Overcoming Life´sHurdles, New York 2003.

[11] Rousseau, D.M. et al.: Not so different after all. A crossdiscipline view of trust. In: Academy of Management Review, 23.Jg.,1998, H.3, S.393-404.

[12] Schweer, M.K.W.: Vertrauen als zentrale Ressource der Organisationsberatung. In: Möller, H. (Hrsg.): Vertrauen in Organisationen: Riskante Vorleistung oder hoffnungsvolle Erwartung? Wiesbaden 2012, S.69 -91.

[13] Möllering, G./Sydow, J.: Organisationen vertrauen – Organisationales Vertrauen in Kunden-Lieferanten-Beziehungen. In: Bauer, H.H./Schüle,A./Neumann, M.M. (Hrsg.): Konsumentenvertrauen: Konzepte und Anwendung für ein nachhaltiges Kundenbindungsmanagement, München 2006, S. 63-75.

[14] Das Institut für Management und Organisation (IMO) GmbH war Mitinitiator und Partner des Forschungsprojekts des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) „Vertrauen- und Kompetenzmanagement als System zur Balance zwischen Flexibilitäts- und Stabilitätsanforderungen (CCM2)“, Förderkennzeichen: 01FH09158, 2009 – 2013; BMBF-Förderschwerpunkt: „Balance von Flexibilität und Stabilität in einer sich wandelnden Arbeitswelt“; in Verbindung mit den Lehrstühlen für Arbeitsmanagement und Personal (Prof. Dr. Uta Wilkens und Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung (Prof. Dr. Heiner Minssen) von der Ruhr-Universität Bochum. Ausgangspunkt des Projekts CCM2 ist die Überlegung, dass ein ineinandergreifendes Vertrauens- und Kompetenzmanagement in der Lage ist, eine Balance aus Flexibilitäts- und Stabilitätserfordernissen herzustellen und auf diese Weise die Innovationsfähigkeit der Unternehmen zu fördern.