Um von der Automatisierung ihrer Geschäftsprozesse stärker zu profitieren, erweitern führende Unternehmen ihre RPA-Implementierungen um eine Mischung aus KI und maschinellem Lernen.
Seit Beginn der Pandemie haben Unternehmen zunehmend Initiativen zur Automatisierung von Geschäftsprozessen gestartet und Technologien wie RPA (Robotic Process Automation) genutzt, um Kosten zu senken, Aufgaben zu beschleunigen und die Genauigkeit von Kerngeschäftsvorgängen zu verbessern. Einige führende Unternehmen beließen es jedoch nicht dabei: Sie setzten auf eine umfassendere “Intelligent Automation” (IA), eine Strategie, die Fähigkeiten wie Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen (ML) in die Standard-RPA einbindet, um deren Funktionalität zu verbessern.
Strategien rund um Intelligent Automation könnten neben RPA, KI und ML auch einen Mix aus Technologien beinhalten, die sich gegenseitig ergänzen – etwa die Verarbeitung natürlicher Sprache (Natural Language Processing – NLP), Chatbots und ähnliches, erklärt Lakshmanan Chidambaram, President of Americas Strategic Verticals beim globalen IT-Beratungsunternehmen Tech Mahindra. “Zusammengenommen ermöglichen uns diese Technologien, Geschäftsprozesse in einem größeren Umfang als bei einfachen RPA-Automatisierungen zu automatisieren.”
Mit der zunehmenden Verbreitung von RPA ist es wahrscheinlich, dass Intelligent Automation auch in Unternehmen, die stärker automatisieren wollen, an Bedeutung gewinnen wird. Gartner geht in einem aktuellen Bericht davon aus, dass die weltweiten Ausgaben für RPA-Software in diesem Jahr 2,9 Milliarden Dollar erreichen werden. Im Vergleich zu 2021 entspricht das einem Anstieg um 20 Prozent. Und auch im Jahr 2023 wird der weltweite RPA-Softwaremarkt den Marktforschern zufolge ein zweistelliges Wachstum verzeichnen.
Ein Grund: Die Anbieter entwickeln ihre RPA-Angebote rasch zu umfassenderen Automatisierungsplattformen mit eingebetteten Funktionen für die Hyperautomatisierung – Gartners Begriff für Intelligent Automation – weiter. Als Ausgangspunkt für die Hyperautomatisierung werden Unternehmen ihre Ausgaben für RPA-Software erhöhen, da sie immer noch viele sich wiederholende, manuelle Arbeitsaufgaben haben. Durch die Automatisierung dieser Aufgaben könnten Mitarbeiter Zeit gewinnen, um sich auf strategischere Aufgaben zu konzentrieren, so das Unternehmen.
Intelligent Automation in der Praxis
Der Technologiedienstleister Insight Enterprises ist ein solches Unternehmen, das IA einsetzt und eine Vielzahl von Automatisierungstechnologien zur Unterstützung seiner Geschäftsprozesse nutzt. “Unser RPA-Team konzentriert sich auf die interne Optimierung hochgradig manueller Back-Office-Prozesse und einiger kundenorientierter Reporting-Aktivitäten”, berichtet CIO Sumana Nallapati. Aktueller Fokus sei es dabei, im Bereich Betrieb und Finanzen einen Ansatz zu entwickeln, um:
- die Zahl der manuellen Prozesse zu reduzieren,
- Kosten zu senken,
- die Produktivität zu steigern und
- fehleranfällige Prozesse zu glätten.
Das Unternehmen nutzt die RPA-Plattform von Automation Anywhere, die die grundlegenden RPA-Funktionen mit den ML- und Analysefunktionen der automatischen Prozesserkennung und Prozessanalyse sowie mit kognitiven Technologien wie Computer Vision, NLP und Fuzzy-Logik kombiniert. Die anfänglichen Beweggründe für den Einsatz von RPA bei Insight waren die Optimierung der Abläufe und die Verbesserung wichtiger Back-Office-Funktionen.
“Wir wollten die kritischen Prozesse des Unternehmens standardisieren und gleichzeitig die Produktivität in unserem gesamten Unternehmen steigern”, so Nallapati. Insight erkannte jedoch früh, dass Automatisierung für das Wachstum in vielen Geschäftsbereichen unerlässlich ist, berichtet die CIO. Deshalb habe man sich beim Start der RPA-Initiative im Jahr 2018 auf zwei primäre Anwendungsfälle konzentriert: die Registrierung von Geschäftsabschlüssen und die Erfassung von Kundenaufträgen.
Da RPA für das Unternehmen neu war, begann Insight in diesen beiden Bereichen langsam, um die Herausforderungen der Implementierung einer RPA-Strategie und -Infrastruktur zu bewältigen, so Nallapati. “Sobald die Teams Erfolge bei der Einrichtung einer Umgebung und der Automatisierung kleinerer Aktivitäten vorweisen konnten, wollten wir den Schwerpunkt der Automatisierung ausweiten. Jetzt arbeiten wir daran, den taktischen, strategischen und wettbewerbstechnischen Vorteil der intelligenten Automatisierung zu maximieren.”
Dazu weitet Insight seinen Einsatz von Automatisierung und KI weltweit aus, wie die Managerin berichtet: “Im Rahmen unserer integrierten Technologie-Roadmap konzentrieren wir uns auf die Umwandlung unserer Organisation in eine Automation-First-Kultur. Ziel dabei ist es, sich nicht mehr nur auf weniger wertvolle, individuelle Automatisierung zu konzentrieren, sondern ein Zentrum für die Ermöglichung von strategisch fokussierter intelligenter Automatisierung zu schaffen.”
Um den Nutzen von Intelligent Automation zu maximieren, sollten Unternehmen ihre Bemühungen mit einer größeren strategischen Initiative und mit der Prozessumgestaltung verknüpfen, sagt Nallapati. “Letztendlich ist unsere Vision, ein skalierbares Self-Service-Modell für die Automatisierung zu betreiben, das die Entwicklung und Wartung von Bots/Automatisierungen durch das Team ermöglicht.”
Intelligent-Automation-Strategie aufbauen
Der Cloud-Software-Anbieter Freshworks setzt im Rahmen seiner mehrjährigen digitalen Transformation ebenfalls Intelligent Automation ein, wobei der Schwerpunkt bisher vor allem auf der Personalabteilung liegt. So nutzt das Unternehmen beispielsweise die KI-Funktionen seiner eigenen IT-Service-Management-Software (ITSM) in Kombination mit den RPA-Funktionen der Automation-Anywhere-Plattform, um den Onboarding-Prozess zu verbessern und neuen Mitarbeitern Zugang zu den ab Tag Eins benötigten Tools zu geben.
Mit IA habe das Unternehmen Bereiche wie die Rechnungsbearbeitung, On- und Offboarding von Mitarbeitern und die Bearbeitung von Kundenbestellungen rationalisiert, berichtet Freshworks-CIO Prasad Ramakrishnan. “Diese Automatisierung hat es unseren IT-Mitarbeitern ermöglicht, Zeit zurückzugewinnen, indem sie banale, sich wiederholende Aufgaben überspringen und sich auf das konzentrieren konnten, wofür sie eingestellt wurden. Durch den Einsatz von KI und RPA können alle unsere Mitarbeiter die benötigten Informationen auf eine effiziente Weise finden.”
Wie so häufig, waren auch hier COVID-19 und die Arbeit im Home-Office der Auslöser für die Entscheidung, die Automatisierung von Geschäftsprozessen zu steigern, berichtet Ramakrishnan. “Mithilfe von Intelligent Automation konnten wir verschiedene Rollen erstellen und Genehmigungsprozesse rationalisieren, wodurch die langen Zykluszeiten verkürzt wurden. Als das Team erst einmal angefangen hatte, waren unserer Fantasie keine Grenzen gesetzt, was wir mithilfe von IA identifizieren und optimieren konnten.”
Mittlerweile hat Freshworks im gesamten Unternehmen Task Forces eingerichtet, um kontinuierlich neue Möglichkeiten zur Implementierung von IA zu ermitteln. “Wir sehen einen wachsenden Bedarf, die verschiedenen Aufgaben, die die Mitarbeiter ausführen, intelligent zu automatisieren”, so Ramakrisnan.
So einfach es klingt: Die Einführung und Ausweitung einer Intelligent-Automation-Strategie kann eine Herausforderung sein, da sie eine Reihe von Komponenten umfasst und sich auf mehrere Prozesse auswirkt. Experten empfehlen daher mehrere Vorgehensweisen, um einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten. Eine davon ist, sich bewusst zu machen, dass Automatisierung eine Reise und kein Ziel ist.
“Es gibt immer weitere Möglichkeiten, die es zu entdecken und zu nutzen gilt”, sagt Insight-CIO Nallapati. Ein guter Weg, diese Möglichkeiten zu finden und zu nutzen, sei die Schaffung einer Kultur, in der Automatisierung an erster Stelle steht, erklärt sie. “Ein großer Teil des Automatisierungsprozesses fußt auf dem Change Management. Die Zusammenarbeit mit den Führungskräften, um zu verstehen, was die Automatisierung bewirken kann, die Begleitung der Teams durch die Veränderungen und die Unterweisung der Beteiligten in der Arbeit mit und im Umgang mit einem ‘digitalen Mitarbeiter’ sind entscheidend für den Erfolg des Programms.”
Automatisierung ist kein einmaliges Unterfangen, fasst Nallapati zusammen. “Ähnlich wie ein traditioneller Angestellter brauchen auch digitale Mitarbeiter Coaching, gelegentliche Unterstützung und die besten Tools und Prozesse, um ihre Arbeit einfacher und produktiver zu machen.”
Die Managerin empfiehlt außerdem, iterativ in kleinen, entscheidenden Schritten auf das große Ziel hinzuarbeiten: “Versuchen Sie nicht, den Ozean mit Automatisierung zum Kochen zu bringen. Sie sollten methodisch vorgehen und sich auf das Ergebnis konzentrieren, das Sie erreichen wollen”, rät sie. “Zerlegen Sie ein größeres Ziel in kleinere Teile, die es Ihnen ermöglichen, den Wert schneller zu realisieren, und verknüpfen Sie es mit einem spezifischen, messbaren Ergebnis und einem Return on Invest.”
IA braucht Koordination und Kooperation
Laut Nallapati müssen Unternehmen auch ihre Geschäftsprozesse optimieren, um die Effektivität der Automatisierung zu erhöhen: “Gemeinsam können die Business Unit und die Automatisierungsteams ihr Fachwissen nutzen, um den besten Ansatz und die Vorgehensweise zur Optimierung der Effizienz des Bots/der Automatisierung zu verfeinern”, so die Insight-CIO.
Aus Sicht von Freshworks-CIO Ramakrishnan sollten Technologieverantwortliche sicherstellen, dass Geschäftsleiter und Benutzer in den Intelligent-Automation-Prozess eingebunden werden. “Informieren Sie sie über die Möglichkeiten und arbeiten Sie mit ihnen in gemeinsamen Problemlösungssitzungen zusammen.” Ein aktuelles Beispiel bei Freshworks war eine gemeinsame Anstrengung des Automatisierungsteams und der Rechnungsabteilung.
“Angesichts der großen Anzahl von Kunden und einer Unmenge von Rechnungen, die täglich bearbeitet werden müssen, ist jede kleine Einsparung durch Automatisierung ein großer Beitrag zur Steigerung der Produktivität und Genauigkeit”, berichtet Ramakrishnan. Außerdem verbessere sich auf diese Weise die Zufriedenheit der Mitarbeiter und Endkunden.
Ähnlich wie bei den heute üblichen Hackathons in IT-Organisationen habe man dazu gemeinsam mit dem Business einen geschäftsspezifischen Hackathon/Ideathon durchgeführt, so der IT-Vorstand: “Wir klärten die Hauptanwender aus dem Abrechnungsteam über die Möglichkeiten der Automatisierung auf, und dann wurden sie aufgefordert, Ideen für die Automatisierung einzubringen.” Anschließend hätten die IT-Abteilung und das Abrechnungsteam dann gemeinsam die Vorschläge auf ihre Machbarkeit geprüft, Prioritäten gesetzt und einen Implementierungsplan erstellt, so Ramakrishnan.
Es sei im Allgemeinen ratsam, sich nicht ohne triftigen Grund auf IA und Automatisierung im Allgemeinen einzulassen, empfiehlt Ramakrishnan: “Entwickeln Sie niemals eine Lösung auf der Suche nach einem Problem. Stellen Sie sicher, dass Sie zuerst das Problem identifizieren und prüfen, ob es bereits eine Lösung dafür gibt, bevor Sie die Mitarbeiter mit einer neuen Anwendung, die implementiert und erlernt werden muss, noch mehr belasten.”
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