Dr. Carsten Behrens ist Experte und Speaker für agile Managementsysteme. Seit 2009 ist er Geschäftsführer der Modell Aachen GmbH, eine Transfergesellschaft der RWTH Aachen und des Fraunhofer IPT. Mit rund 40 Mitarbeitern und über 550 namhaften Kunden ist das Software- und
Beratungsunternehmen mit der Lösung Q.wiki der führende Anbieter Interaktiver Managementsysteme auf Basis der Wiki-Technologie.
DER PROZESSMANAGER: Herr Behrens, welchen Prozessmanagement-Ansatz verfolgen Sie?
Dr. Carsten Behrens: Wir verfolgen das Prinzip Interaktiver Managementsysteme: eine kollaborative Form des Prozessmanagements, die wir 2006 an der RWTH Aachen entworfen haben und seitdem konsequent weiterentwickeln. Mittlerweile haben wir über 550 Unternehmen von unserem Ansatz überzeugt und ein Interaktives Managementsystem bei ihnen implementiert.
DER PROZESSMANAGER: Was ist der Kerngedanke von Interaktiven Managementsystemen?
Dr. Carsten Behrens: Der Kerngedanke Interaktiver Managementsysteme ist, dass jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter die Geschäftsprozesse sowie alle anderen Vorgaben im Unternehmen aktiv mitgestaltet. Das Ziel dabei: Das Managementsystem und dessen Dokumentation bilden jederzeit die aktuellen Spielregeln des Unternehmens ab. Auf diese Weise werden Beschlüsse und Veränderungen direkt über das Managementsystem kommuniziert. Wir sprechen daher auch gerne von Managementsystem-Kommunikation anstatt von einer Dokumentation.
DER PROZESSMANAGER: Was unterscheidet Interaktive Managementsysteme von herkömmlichen (Prozess-)Managementsystemen?
Dr. Carsten Behrens: In den meisten Unternehmen gibt es einen oder wenige Experten, die die Prozesse modellieren und im Managementsystem dokumentieren. Auch wenn diese oft versuchen, die einzelnen Fachabteilungen ins Prozessmanagement einzubinden – zum Beispiel in Form von Workshops – bleibt eine klare Trennung zwischen den Autoren des Managementsystems und denjenigen, die die Prozesse in der Praxis ausführen.
So entsteht eine Sender-Empfänger-Situation: Die Ausführenden geben ihre Vorgaben an die Autoren weiter, die den entsprechenden Prozess dann nach bestem Wissen und Gewissen modellieren. Dadurch entstehen Übersetzungsfehler, Ineffizienzen, Latenzzeiten und nicht zuletzt fühlen sich weder Sender noch Empfänger so richtig verantwortlich für den Prozess. Mit einem Interaktiven Managementsystem sparen wir uns die unnötige Schnittstelle zwischen zwei Verantwortungsbereichen. Denn die Personen, die den Prozess in der Praxis ausführen, dokumentieren und modellieren diesen auch.
“Interaktive Managementsysteme sparen Schnittstellen und erhöhen die Effizienz im Arbeitsalltag”
DER PROZESSMANAGER: Welches Problem löst dieser Ansatz besser als andere?
Dr. Carsten Behrens: Kennen Sie den Prozessmanagement-Teufelskreis? Wenn es sehr aufwendig ist, Änderungen in die Prozessdokumentation einzubringen, wird diese nicht aktuell gehalten. Dadurch dass die enthaltenen Informationen nicht aktuell sind, sind sie im Arbeitsalltag wertlos. Und wenn die Informationen wertlos sind, besteht wiederum kein Interesse daran, sich an der Gestaltung der Dokumentation zu beteiligen.
Wir kehren diesen Teufelskreis um, indem wir den Änderungsaufwand minimieren und einen echten Nutzen für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter generieren. Durch die Beteiligung aller bleibt die Prozessdokumentation stets aktuell, das ganze Team identifiziert sich mit den Vorgaben und akzeptiert diese. Die Prozesslandschaft wird zu einem natürlichen Bestandteil des Arbeitsalltags. Dadurch, dass die Prozessverantwortlichen selbst die Autoren im Managementsystem sind, entfallen außerdem Latenzzeiten und Schnittstellenverluste.
Wir kennen all diese Vorteile aus den agilen Prinzipien und aus den Grundgedanken des New Work.
DER PROZESSMANAGER: Wie lassen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu motivieren, sich aktiv an der Gestaltung des Managementsystems und der Prozesse zu beteiligen?
Dr. Carsten Behrens: Ganz einfach: Aufwand runter, Nutzen rauf und das neue System sauber einführen. Wir halten sowohl den methodischen Ansatz als auch unsere Software bewusst einfach, damit jeder Mensch nach 5 Minuten Erläuterung in der Lage ist, das Managementsystem mitzugestalten. Wir sind davon überzeugt, dass die Akzeptanz der Prozesse und eine gut funktionierende Zusammenarbeit viel wertvoller sind als eine große Funktionsvielfalt!
Den hohen Nutzen des Managementsystems erreichen wir dadurch, dass wir die Prozesse mit alltagsrelevantem Wissen anreichern. Die Prozessdokumentation wird dadurch zu einem wertvollen Informationsportal – ganz im Sinne des prozessorientierten Wissensmanagements. Wir schaffen dadurch einen starken Anreiz, sich immer wieder mit der Dokumentation auseinanderzusetzen und sich daran zu beteiligen.
Eine saubere Einführung ist der dritte große Stellhebel. Hier kommt es vor allem auf ein gutes Change Management an: Man braucht eine klare Zielstellung, um das neue Managementsystem dann zunächst in einem Pilotbereich des Unternehmens einzuführen. Dann erst folgen das Rollout auf andere Bereiche und alle weiteren Schritte.
DER PROZESSMANAGER: Entsteht nicht ein großes Chaos, wenn alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbstständig Prozesse gestalten und verändern?
Dr. Carsten Behrens: Nicht unbedingt. In unserer Software Q.wiki lösen wir es beispielsweise so, dass Änderungen zunächst in einer Kopie der bestehenden Prozessbeschreibung gespeichert werden. Diese Kopie können alle Teammitglieder gemeinsam gestalten und beliebig anpassen. Ist ein zufriedenstellender Arbeitsstand erreicht, durchläuft dieser einen Freigabeworkflow, bevor er gültig ist. Die erste, inhaltliche Freigabe erteilt der Prozessverantwortliche. Die zweite, formale Freigabe erteilt eine zentrale Instanz. Dies kann ein Managementsystem-Beauftragter, ein Prozessmanager oder einfach ein „Gärtner“ des Systems sein, der für eine einheitliche Struktur sorgt.
“Der Erfolg Interaktiver Managementsysteme lässt sich im täglichen Konsum der Informationen messen!”
DER PROZESSMANAGER: Wie lässt sich der Erfolg Interaktiver Managementsysteme messen?
Dr. Carsten Behrens: Wir messen den Erfolg Interaktiver Managementsysteme an der Systemvitalität, also der Anzahl der lesenden und schreibenden Zugriffe pro Monat. Dabei haben wir bei unseren Kunden typischerweise zwischen 10 und 100 lesende Zugriffe pro Monat und Mitarbeiter. Das macht bei einem Unternehmen mit 1.000 Beschäftigen 10.000 bis 100.000 monatliche Zugriffe. Am Ende des Tages liegt der Wert von Informationen darin, wie oft sie konsumiert werden!
Die Interaktivität von Managementsystem messen wir außerdem mit einem eigens entwickelten Reifegradmodell, das wir noch im Prozessmanager vorstellen.
DER PROZESSMANAGER: Welche Grenzen hat das Prinzip Interaktiver Managementsysteme?
Dr. Carsten Behrens: Um das Prozessmanagement zu demokratisieren, muss es besonders einfach konzipiert sein – dadurch sind die Funktionen eines Interaktiven Managementsystems begrenzt. Bei der Modellierung empfehlen wir neben den Schwimmbahnen beispielsweise, nur 2 weitere Symbole zu verwenden. Außerdem verzichten wir oft vollständig auf Prozessmodelle und beschreiben Prozesse über einfache Tabellen und ergänzende Metadaten. Einzelne Arbeitsanweisungen können – anstatt aus einem BPMN-Modell – auch einfach aus einem kurzen Video oder einer Bilderserie bestehen.
Aufgrund der begrenzten Funktionen eines Interaktiven Managementsystems, die seine Bedienung besonders einfach machen, stößt es an anderer Stelle an seine Grenzen. So sind etwa Simulationen von Prozessen oder ein unmittelbarer Export in Workflow Engines nicht möglich. Damit entfallen auch die Konsistenzprüfung der Prozessmodelle und aufwendige Modellierungshilfen.
Die fehlende methodische und toolseitige Komplexität, die in anderen Systemen der besseren Planungsqualität dient, kompensieren Interaktive Managementsysteme durch ihren funktionierenden soziotechnischen Regelkreis. Dadurch, dass die Prozessdokumentation regelmäßig genutzt und kontinuierlich verändert wird, werden Fehler und Schwachstellen schnell aufgedeckt und behoben.
DER PROZESSMANAGER: Welche konkreten Tipps möchten Sie unseren Lesern zum Prozessmanagement mitgeben?
Dr. Carsten Behrens: Für agiles Prozessmanagement gelten für mich 10 klare Regeln:
- Kollaboration: Der Prozessmanager schreibt selbst kein Wort in der Prozesslandschaft – machen Sie die Betroffene zu aktiv Beteiligten.
- Einfachheit: Verwenden Sie eine Software, in der sich jeder Mitarbeiter intuitiv zurechtfindet.
- Updatefähigkeit: Eine Änderung an der Prozessdokumentation darf nicht länger als 5 Minuten dauern, inklusive Konsolidierung, Freigabe, Kommunikation etc.
- Echter Nutzen: Reichern Sie die Prozesse mit alltagsrelevantem Wissen an. So wird die Prozessdokumentation zur wertvollen Unterstützung in der tagtäglichen Arbeit.
- MVP & Iteration: Lassen Sie (temporär) Fehler, Lücken und Inkonsistenzen zu – sie werden kontinuierlich optimiert.
- Barrierefreiheit: Vermeiden Sie komplexen Satzbau, Fließtext oder Fremdwörter und nutzen Sie stattdessen einfach formulierte Stichpunkte.
- Kultivierung: Verankern Sie die Prozessdokumentation im Alltag der Mitarbeiter, indem Sie sie in Besprechungen, Schulungen, Reviews etc. einbinden.
- Single Point of Truth: Löschen Sie alle anderen Datenquellen für Vorgaben und Wissen im Unternehmen.
- Motivation: Drohen Sie niemals mit anstehenden Audits – die intrinsische Motivation ist ausschlaggebend.
- Müllabfuhr: Löschen Sie alle Informationen (automatisch), mit denen nicht gearbeitet wird.
Über Modell Aachen
Als Ausgründung des Lehrstuhls für Qualitätsmanagement der RWTH Aachen und dem Fraunhofer IPT steht die Modell Aachen GmbH seit 2009 für Interaktive Managementsysteme auf Basis der Wiki-Technologie. Mit Managementberatung und der kollaborativen Software Q.wiki befähigt das hochqualifizierte Team um Geschäftsführer Dr. Carsten Behrens Organisationen jeder Branche und Größe zu partizipativer Führung und einer lebendigen Wissenskultur.
Weitere Insights gibt es auf der Company Page oder unter www.modell-aachen.de